Diaspora
Zivilisation, sechs: die Begegnung mit Raumfahrern.
Drei Schläge jedoch bedeuteten, daß die Scoutsonden eindeutige Anzeichen von Leben entdeckt hatten. Das war Grund genug zum Jubel. Bis zum Augenblick des Klonens kurz vor dem Start – im subjektiven Augenblick unmittelbar vor dem Glockenklang – hatten die Gleisner in ihren Berichten an die Erde nicht einmal die Entdeckung der primitivsten Lebensform gemeldet. Es hatte keine Garantie gegeben, daß irgendein Zweig der C-Z-Diaspora darauf stoßen würde.
Paolo forderte die Polis-Bibliothek auf, ihn zu informieren. Sofort stellte sie eine Verbindung zwischen der deklarativen Erinnerung seines simulierten traditionellen Gehirns und all den Daten her, die er wahrscheinlich benötigte, um seine unmittelbare Neugier zu befriedigen. Dieser C-Z-Klon hatte Wega erreicht, den zweitnächsten der tausend Zielsterne, siebenundzwanzig Lichtjahre von der Erde entfernt. Ihr Schiff war das erste, das sein Ziel erreichte; das Schiff mit dem Ziel Fomalhaut war unterwegs von Trümmern getroffen und vernichtet worden. Es fiel Paolo schwer, um die zweiundneunzig Bürger zu trauern, die es im Wachzustand erlebt hatten. Er hatte niemandem von ihnen vor dem Klonen nahegestanden, und die speziellen Versionen, die vor zwei Jahrhunderten nachweislich im interstellaren Raum umgekommen waren, waren ihm so fern wie die Opfer von Lacerta.
Er beobachtete seinen neuen Heimatstern durch die Kameras einer Scoutsonde – und durch die ungewohnten Filter des pseudo-körperlichen visuellen Systems. In traditionellen Farben war Wega eine grelle blauweiße Scheibe, die mit Ausstülpungen besprenkelt war. Der Stern hatte die dreifache Masse der Sonne, die doppelte Größe und doppelte Temperatur und war sechzigmal so hell. Er verbrannte seinen Wasserstoff schnell und hatte bereits die Hälfte seiner vorgesehenen fünfhundert Millionen Jahre auf der Hauptreihe hinter sich.
Wegas einziger Planet Orpheus war für die besten Interferometer im Sonnensystem nicht mehr als ein gestaltloser Punkt gewesen. Jetzt blickte Paolo auf seine blaugrüne Sichel hinab, die zehntausend Kilometer unter Carter-Zimmerman hing. Orpheus war fest, ein Nickel-Eisen-Silikat-Planet, ein wenig größer als die Erde und ein wenig wärmer – eine Milliarde Kilometer Abstand machte die Hitze Wegas erträglich –, und er ertrank geradezu unter flüssigem Wasser. Paolo beschleunigte seine Zeitrate auf das Tausendfache der Körperlichen, worauf C-Z den Planeten einmal in zwanzig subjektiven Tau umkreiste. Das Tageslicht enthüllte bei jedem Vorbeiflug einen neuen breiten Streifen. Zwei schlanke, ockerfarbene Kontinente mit gebirgigem Rückgrat begrenzten hemisphärische Ozeane, und gigantische Massen aus Packeis bedeckten beide Pole – wesentlich stärker im Norden, wo gezackte weiße Halbinseln aus der ewigen Dunkelheit des arktischen Winters hervorragten.
Orpheus' Atmosphäre bestand hauptsächlich aus Stickstoff – sechsmal soviel wie auf der Erde – mit Spuren von Wasserdampf und Kohlendioxid, aber nicht genug für einen eskalierenden Treibhauseffekt. Der hohe Atmosphärendruck bedeutete reduzierte Verdunstung – Paolo sah nicht eine winzige Wolke –, und die großen, warmen Ozeane halfen zusätzlich, das Kohlendioxid zu binden. Der Gammastrahlen-Ausbruch von Lacerta war hier sogar noch intensiver als auf der Erde gewesen, doch da es keine Ozonschicht zu zerstören gab und die Atmosphäre ohnehin ständig von Wegas intensivem Ultraviolett ionisiert wurde, mußten alle denkbaren Veränderungen der chemischen Umwelt oder der Strahlungsstärken in geringer Höhe verhältnismäßig schwach ausgefallen sein.
Das gesamte System war nach irdischen Standards jung, immer noch in dichten vorzeitlichen Staub gehüllt. Doch Wegas größere Masse und die dichtere protostellare Wolke mußten eine Beschleunigung der frühen traumatischen Geburtsphase zur Folge gehabt haben – die nukleare Zündung und frühe Helligkeitsschwankungen, die Planetenkondensation und das Zeitalter des Meteoritenbombardements. Die Bibliothek schätzte, daß Orpheus seit mindestens hundert Millionen Jahren ein relativ stabiles Klima und das Ausbleiben größerer Einschläge genossen hatte.
Lange genug, um primitives Leben hervorzubringen.
Eine Hand packte Paolos Fußknöchel und zog ihn unter Wasser. Er leistete keinen Widerstand, während er den Anblick des Planeten verblassen ließ. Nur zwei weitere Menschen in C-Z hatten freien Zugang zu dieser Landschaft
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