Dicke Hose (German Edition)
hinweg. Notwendiges, sauerstoffhaltiges Blut wird durch meinen Körper gepumpt, versorgt aber dummerweise nur den Teil, der sich unterhalb der Gürtellinie befindet. Der Rest fühlt sich an, als würde er gar nicht mehr durchblutet. Aus Angst vor einer Ohnmacht rufe ich mir das Bild von Friedrich von Klatt vor Augen, wie er in einem dieser gepunkteten BHs durch sein Büro stolziert und dabei den Zettel mit dem Score zerreißt. Dann atme ich dreimal tief durch und habe mich einigermaßen wieder im Griff.
Victoria erzählt irgendwas über Größen und Preise, dann rauscht sie aus dem Raum und bedeutet mir mit ausschweifender Geste, ihr zu folgen.
Unsere nächste Station ist die Loungeecke im Flur. Hier zeigt mir die Frau, von der ich mir garantiert nie wieder vorstellen werde, was sie unter ihren Kleidern trägt, eine opulente Sitzgarnitur, bestehend aus zwei grauen Sofas, zwei Sesseln und einem kleinen Tisch, auf dem Zeitschriften und ein paar Prospekte ausgelegt sind.
«Falls ein Kunde oder die Begleitung eine Pause braucht», sagt Victoria und deutet anschließend auf eine verspiegelte Tür. «Dahinter befindet sich die Küche. Kaffee, Wasser, Orangensaft und Sekt, ganz nach Belieben.»
«Also, einen Kaffee könnte ich jetzt wirklich vertragen», äußere ich spontan. «Oder habt ihr vielleicht Kamillentee?»
Wenn schon meine Nerven in diesem Laden verschlissen werden, sollte ich wenigstens auf mein Herz achten. Doch Sekunden später bereue ich diese Vorsichtsmaßnahme. Wenn Victoria mich bis hierhin noch nicht für einen verweichlichten Sorbet-Fetischisten gehalten hat, dann würde sie es spätestens von jetzt an tun.
«Normalerweise wäre das ja kein Problem», sagt sie und sieht mich an, als stünde zu befürchten, dass ich gleich kraftlos zu gelbem Staub zerfalle. «Mitarbeiter dürfen sich natürlich auch gerne bedienen. Heute sitzt uns allerdings die Zeit etwas im Nacken. Kai erledigt am Nachmittag ein paar dringende Einkäufe für den Laden, du bist also für den Rest des Tages im Foyer auf dich gestellt. Deshalb ist es wichtig, dass er dir dort vorher noch alles zeigt.»
Natürlich. Kai geht shoppen, und ich muss verdursten. War ja klar.
«Wo befindet sich denn eigentlich die Herrenabteilung mit den Handys und Laptoptaschen und so?», heuchele ich Interesse, da ich der Schwuppe heute am liebsten gar nicht mehr begegnen würde. Die Männeretage zu besichtigen dürfte mir bei Victorias Mitteilungsbedürfnis mindestens eine Viertelstunde Zeit einbringen.
«Es gibt hier keine Herrenabteilung. Auch keine Handys.» Meine selbsternannte Chefin schürzt die Lippen.
Mein Blick fällt auf meine neuen Lackschuhe. «Bitte?»
«Eine Herrenabteilung gibt es hier nicht. Männer kaufen selbstverständlich bei uns ein, allerdings hauptsächlich Accessoires.»
Haha. Männer. Kaufen. Accessoires. Dass ich nicht lache.
«Im Foyer bei Kai gibt es beispielsweise Taschenmodelle für Männer. Aktentaschen, Reisetaschen, Handy- und Laptophüllen. Sie sind sehr beliebt und verkaufen sich wirklich gut.»
Fast beginne ich, ihr zu glauben. Fast.
«Aber … wieso hängen dann im Keller so … schicke … Anzüge wie der, den ich aus … Werbegründen tragen soll? Wenn Männer hier gar keine kaufen können?» Die will mich doch veräppeln!
Offenbar nicht. Trotzdem nickt Victoria, als hätte ich etwas sehr Schlaues von mir gegeben.
«Ja, du hast recht. Das muss natürlich komisch auf dich wirken.»
Komisch? Komisch finde ich hier ehrlich gesagt gar nichts.
«Das ist leider ein Defizit dieses Ladens. Die Räumlichkeiten reichen nicht aus, um auch noch Herrenkollektionen zu präsentieren. «Männer können sich die Mode aber in Ruhe im Internet ansehen und dort natürlich auch bestellen. Die meisten von ihnen bevorzugen ohnehin Online-Shopping. Ich glaube, viele genieren sich und trauen sich nicht, sich bei ihrer Kleiderwahl beraten zu lassen. Sie bestellen lieber zu Hause vor dem Rechner. Anonym und bequem. Und natürlich mit allen Annehmlichkeiten, die man auch beim normalen Einkaufen bei Miucci hat: Umtausch, Rabattaktionen und Stilberatung.» Victoria holt kurz Luft, dann macht sie weiter: «Falls etwas nicht passt oder nicht gefällt, können die Kunden die Ware im Laden tauschen oder auf dem Postwege retournieren.»
Ach. Männer trauen sich also nicht, sich hier beraten zu lassen. Ist ja interessant. Vermutlich haben sie Angst vor dem Musketier mit der Betonfrisur. Kann ich absolut nachvollziehen. «Trotzdem
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