Dicke Hose (German Edition)
unverständlichen Worten auf sie einredet, wirft er sich seinen Mantel über und steckt seine Schlüssel ein. Dann schlägt er die Hände vor der Brust zusammen. «I love love love it!»
Carmen Grünewald und ich starren ihn gleichermaßen fasziniert an.
«Geh doch mal ein paar Schritte, Alex», fordert er mich jetzt auf, nicht ohne mir ein zuckersüßes Lächeln zu schenken. «Bis zum Fenster. Dort drehst du dich ein paarmal hin und her. So kann Frau Grünewald sehen, wie wunderbar diese Tasche ihre … Trägerin schmückt.» Er klatscht wieder in die Hände. «Das ist … so very Miucci!»
Tickt der noch ganz richtig? Blau ist das neue Schwarz? Und was soll die Anspielung auf die Trägerin ? Will der etwa andeuten, ich hätte etwas Feminines?
Ein Blick in die Runde sagt mir, dass ich keine Wahl habe. Beide erwarten eine Präsentation, die so very Miucci ist. Ich hasse hasse hasse ihn!
Unbeholfen wage ich ein paar Schritte und schlackere mit der Metallkette, als ginge es darum, ein ekliges Insekt von der Tasche zu schütteln.
«Nicht doch!», ruft Kai entsetzt. «Nicht so daran reißen. Das mag die Falabella nicht. Häng dir die bag lieber locker über die Schulter. Casual! Und am Fenster wechselst du dann die Seite.»
Geht’s noch? Wir sind doch hier nicht bei der Ponydressur! Was soll das überhaupt? Hat die Grünewald auf einmal vergessen, dass diese Tasche IN KEINSTER WEISE ihren Anforderungen entspricht?
Gerade als ich schweren Herzens den letzten mir verbliebenen Stolz herunterschlucke und wie ein kastrierter Balletttänzer taschenschwingend durch den Laden aufs Schaufenster zuflaniere, passiert das Unvermeidliche: Draußen vor dem Fenster entdecke ich ein bekanntes Gesicht. Und es gehört ausgerechnet dem Menschen, von dem ich ohne Übertreibung sagen kann, dass es der letzte ist, den ich zu sehen wünsche. Schon gar nicht in diesem Moment, da ich mit dem dunkelblauen Stoffmonster eine alberne Pirouette vollführe, mit der ich höchstwahrscheinlich beim Cirque du Soleil Karriere machen könnte.
Draußen steht Marcel und grinst. Zwar ist er ohne intergalaktisch belegte Regenbogenstulle unterwegs, dafür aber mit gelb kariertem Regenschirm und dazu passender Schiebermütze. Ein objektiver Beobachter würde vermutlich sagen, wir sehen ähnlich schräg aus. Aber das täuscht. Immerhin trägt er den Firlefanz freiwillig.
Als sich unsere Blicke begegnen, wird sein Grinsen noch einen Tick breiter.
Ich hasse hasse hasse ihn!
Kai, der sich inzwischen komplett angezogen hat, um vorzeitig dieses Irrenhaus zu verlassen, schlägt sich mit der flachen Hand gegen die Stirn. «Ach, Gottchen», stöhnt er, «ich habe meinen Schal unten liegengelassen.»
Aufgebracht rauscht er in Richtung Keller.
«Sie machen das ganz wunderbar», ruft Carmen Grünewald, ohne sich von der Fratze hinter der Scheibe beeindrucken zu lassen. «Wenn Sie die Tasche bitte noch einmal umdrehen könnten, sodass die Frontseite und die verzierte Klappe sichtbar sind …»
Ich bin unfähig, mich von der Stelle zu bewegen.
«Hallo?», hakt sie nach. «Könnten Sie die Tasche bitte drehen?»
Nein, das kann ich nicht. Ich kann momentan nur wie festgefroren herumstehen und Marcel durch die Scheibe anstarren, als könne ich ihn mittels Blickkontakt in eine zerstückelte Borkenkäferlarve verwandeln. Unnötig zu erwähnen, dass es nicht funktioniert. Stattdessen legt Marcel jetzt Daumen und Zeigefinger seiner beiden Hände zu einem Herz zusammen, schließt die Augen und spitzt seine Lippen zu einem Kussmund.
Als er die Augen wieder öffnet, präsentiere ich ihm als Antwort meinen Mittelfinger.
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8. Kapitel
«Prost!», sagt Tanja und sieht mir tief in die Augen.
«Auf einen wunderbaren Abend!» Ich erhebe ebenfalls mein Glas. «Möge er genauso schön weitergehen, wie er begonnen hat!» Mühelos halte ich ihrem Blick stand. Keine Schweißausbrüche, kein Kreislaufkollaps, keine Sprachstörungen. Hier stimmt die Chemie. Kommt eben nur auf die richtige Frau an.
Tanja ist Maklerin bei Engel und Völkers, einem renommierten Hamburger Immobilienbüro, und somit im weitesten Sinne eine Kollegin von mir. Wir haben uns vor drei Monaten bei einer Software-Schulung kennengelernt und sind seitdem zweimal gemeinsam in der Mittagspause essen gewesen. Anfangs glaubte ich, Tanja habe einen Freund, weil sie bei unserem ersten Treffen irgendwie desinteressiert wirkte. Doch sehr schnell stellte sich heraus, dass es nur an der
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