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Die 101 Wichtigsten Fragen - Bundesrepublik Deutschland

Die 101 Wichtigsten Fragen - Bundesrepublik Deutschland

Titel: Die 101 Wichtigsten Fragen - Bundesrepublik Deutschland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edgar Wolfrum
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Schlüsselfrage. Von den großen Nazis überlebte politisch keiner in der Bundesrepublik, sie waren im Nürnberger Prozess 1945/46 und in seinen Nachfolgeprozessen abgeurteilt worden. Aber die mittlere Garnitur jener, die den Nationalsozialismus mitgetragen hatten, fand schnell ihren Platz im neuen Staat, was einen Skandal darstellte. Mit der Gründung der Bundesrepublik wurden die Ergebnisse der unter der Ägide der Besatzungsmächte in den Jahren 1945–1949 vorgenommenen Entnazifizierung wieder rückgängig gemacht. In welchem Umfang dabei auf die frühere NS-Beamtenschaft zurückgegriffen wurde, zeigt sich besonders drastisch bei der Bundesverwaltung: Von den zwischen 1950 und 1953 neu ernannten Abteilungsleitern waren über 60 Prozent Mitglieder der NSDAP gewesen.
    Alte Netzwerke funktionierten nach wie vor, Schuldeingeständnisse oder auch nur -gefühle traf man selten an, fast immer ging es um Vertuschen. Gegenseitig wusch man sich rein, hing nach wie vor gewissenlos der alten Gedankenwelt an und kämpfte für Amnestie und Straffreiheit. Tatsächlich war die bundesdeutsche Justiz bis zum Beginn der 1960er Jahre und teils weit darüber hinaus auf dem rechten Auge blind. Dass es nicht in stärkerem Ausmaße zu einer befürchteten «Renazifierung» kam, sondern die Unbelehrbaren vor allem im Verborgenen agierten, war den westlichen Alliierten zu verdanken, die das eine um das andere Mal eingriffen und Affären aufdeckten. Die Adenauer-Regierung ging ebenso kaltschnäuzig wie realistisch davon aus, dass man sein Volk nicht austauschen könne und so kam es zu einer schnellen Reintegration der ehemaligen Nationalsozialisten. Dies war moralisch äußerst fragwürdig, erwies sich jedoch funktional als sehr effektiv. Das «Angebot», sich in den neuen demokratischen Staat einzupassen, der dafür wirtschaftliche Erfolge und berufliche Karrieren versprach, war äußerst verlockend. Man könnte zuspitzen und sagen: Die ehemaligen Nazis wurden korrumpiert unddadurch ruhiggestellt. Bis in die 1970er Jahre hinein blieben viele Funktionseliten des «Dritten Reiches» in der mittleren Verwaltung an den Hebeln der Macht; erst danach kam es zu einem Generationenwechsel. Vermutlich ging dies letztlich deshalb «gut», weil sich diejenigen, die sich in den Nationalsozialismus verstrickt hatten oder Täter waren, niemals sicher sein konnten, ob sie entdeckt und vor Gericht gezogen würden. Seit den 1960er Jahren wurde die justitielle Vergangenheitsaufarbeitung in der Bundesrepublik intensiviert. Viele Ehemalige passten sich an, blieben unauffällig, spielten den guten Arbeitskollegen, Freund, Ehemann und Familienvater. Für die Millionen von Opfern der NS-Verbrechen waren dies unerträgliche Zustände. Und dass Konrad Adenauer auch noch Hans Globke zum Staatssekretär im Bundeskanzleramt ernannte und jener diese Schlüsselstellung bis 1963 ausübte, kann nicht gerechtfertigt werden und stellte den neuen Staat vor aller Welt ins Zwielicht. Globke war im «Dritten Reich» Mitkommentator der Nürnberger Rassegesetze gewesen.
    45. Wer waren die «Trümmerfrauen» und die «Heimatvertriebenen»? Wohin man 1945 auch blickte – nach Berlin, München, Hamburg, Leipzig: überall Trümmer und Zerstörung. Und wer kennt sie nicht, die Bilder von Frauen, die in langen Reihen vor diesen Ruinen stehen und Ziegelsteine klopfen, putzen und sie sorgfältig auf einen Haufen legen, damit sie für den Aufbau wieder benutzt werden können. Sie beluden Pferdewagen, die sie selbst ziehen mussten, oder schoben mit Schutt beladene Loren. Ihre offizielle Bezeichnung durch die kommunalen Verwaltungen war «Hilfsarbeiterinnen im Baugewerbe», doch alle kannten sie nur unter dem Begriff «Trümmerfrauen». Sie «enttrümmerten» die Städte von den Hinterlassenschaften des Weltkrieges. In der unmittelbaren Nachkriegszeit leisteten die Frauen unter widrigsten Bedingungen Schwerstarbeit, räumten die gigantischen Trümmermassen beiseite, bauten Notunterkünfte und begaben sich aufs Land, um Nahrung zu suchen. Während viele Männer gefallen waren oder sich noch in Kriegsgefangenschaft befanden, organisierten die Frauen das Überleben in den zerstörten Städten und bewältigten das Chaos. Es war die viel zitierte «Stunde der Frauen», doch in den 1950er Jahren, als die Männer wieder zurückkehrten, blieb von diesem aus der Not geborenen Emanzipationsschub erstaunlicherweise wenig übrig. Was Frauen dann leisteten, entzieht sich dem Materiellen, denn die

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