Die 101 Wichtigsten Fragen - Bundesrepublik Deutschland
wurde jener 1990 gedrehte «Supermarktspot» mit den Entertainern Hella von Sinnen und Ingolf Lück («Tina, wat kosten die Kondome?»). Nicht verschwiegen werden darf, dass solche Werbung für geschützten Geschlechtsverkehr vehemente Kritik, besonders der katholischen Kirche hervorrief. Neue Medikamente helfen inzwischen, den Ausbruch der Krankheit hinauszuzögern, aber Heilungschancen bestehen nach wie vor nicht, und so kommt der AIDS-Prävention, deren Finanzmittel die Bundesregierung 2007 noch einmal aufgestockt hat, ein hoher Stellenwert zu.
59. Was hat «Emma» mit der Frauendiskriminierung zu tun? Bereits 1949 prangerte die französische Philosophin Simone de Beauvoir in ihrem Buch «Das andere Geschlecht» die gesellschaftlichen Verhältnisse an, mit denen Frauen in der Abhängigkeit der Männer gehalten wurden. Dieses Werk, das in unzählige Sprachen übersetzt wurde, machte sie zur «Mutter des modernen Feminismus». Ähnliche Durchschlagskraft auf nationaler Ebene erreichte in der Bundesrepublik die Vorkämpferin der deutschen Frauenemanzipation Alice Schwarzer – die in Paris studiert hatte – mit ihrer Zeitschrift «Emma», die erstmals im Januar 1977 erschien. Über Jahrzehnte hinweg verlieh sie der neuen Frauenbewegung trotz der Kritik von vielen Seiten die nötige Schwungkraft. Im Zuge der Studentenbewegung Ende der 1960er Jahre waren in Berlin, Münster, München, Hamburg und anderen großen Universitätsstädten «Frauen-» und «Weiberräte» gegründet worden, um aus dem Dunstkreis der meist ignorantenmännlichen 68er-Aktivisten herauszutreten. Diese wollten zwar eine Revolution, doch Frauen kamen darin nicht vor. Auslöser für eine bundesweite Mobilisierung von Frauen war schließlich das Abtreibungsverbot, das Anfang der 1970er Jahre gesetzlich neu geregelt werden sollte. Im Frühjahr 1971 leitete Alice Schwarzer eine Unterschriftensammlung ein, die mit einem gesellschaftlichen Tabu brach. «Ich habe abgetrieben» bekannten 374 bekannte Frauen in einer am 6. Juni 1971 im «stern» erschienenen öffentlichen Selbstbezichtigung.
Die Ungleichheit der Geschlechter konnte in der Bundesrepublik zwar verringert, jedoch nicht überwunden werden. Formalrechtlich wurde die Frauendiskriminierung abgebaut – lebenspraktisch besteht sie fort. Im Arbeitsleben blieben Männer privilegiert, und noch 1990 verdienten weibliche Angestellte im Durchschnitt nur 71 Prozent des Bruttoverdienstes von Männern im selben Beruf. Dies macht sich später bei der Rente bemerkbar. Außerdem sind Frauen von einem höheren Arbeitsplatzrisiko bedroht. Und in Führungspositionen hat weiblicher Habitus offenbar nichts zu suchen: In den Chefetagen der 626 umsatzstärksten deutschen Aktiengesellschaften befinden sich gegenwärtig 0,5 Prozent Frauen. In anderen Bereichen, etwa an Universitäten, sieht es besser aus, doch je höher die Stufen der wissenschaftlichen Qualifikation, desto weniger Frauen sind anzutreffen. Eklatant hemmend wirkt sich hier die Dreifachbelastung auf junge Frauen aus: Kindererziehung, Haushaltsführung und Studium bzw. Qualifizierung. Ferner zeichnet sich im politischen Bereich ein widersprüchliches Bild ab: 1970 betrug die Frauenquote in der CSU 10, in der CDU 13,6, in der FDP 15 und in der SPD 17,3 Prozent. Bis 1990 hatte sich einiges getan, die CSU kam nun auf 17, die CDU wie die FDP auf 25, die SPD auf 29 und die GRÜNEN auf 36 Prozent. Im Bundestag und in den Länderparlamenten haben parteiinterne Quotenregelungen zwar zu einem Anstieg der Anzahl weiblicher Abgeordneter geführt, doch insgesamt ist sie auffällig klein geblieben. Wenngleich die Zeitschrift «Emma» immer mehr Leserinnen verlor und mittlerweile vor sich hin dümpelt, so ist das, was in ihrem Titel als Wortspiel aufleuchtet, nämlich «Ema-nzipation» noch längst nicht eingelöst.
60. Leben wir in einer Risiko- oder Erlebnisgesellschaft? Sozialwissenschaftler versuchen stets, die gesellschaftliche Wirklichkeit zu erklären. In den letzten Jahren haben es dabei besonders zwei Modellezu einer ansehnlichen Popularität gebracht. Mitte der 1980er Jahre prägte der Soziologe Ulrich Beck den Begriff der «Risikogesellschaft» – und beschrieb damit einen Gesellschaftstypus, in dem immer mehr Lebensrisiken alle Menschen betrafen, weil die Grenzen von Klasse, ethnischer Zugehörigkeit und Nation gegenüber vielen Risiken keinen Schutz mehr boten. Die Reaktorkatastrophe im ukrainischen Atomkraftwerk Tschernobyl 1986 wirkte wie ein
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