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Die 101 Wichtigsten Fragen - Bundesrepublik Deutschland

Die 101 Wichtigsten Fragen - Bundesrepublik Deutschland

Titel: Die 101 Wichtigsten Fragen - Bundesrepublik Deutschland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edgar Wolfrum
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Umfrage von 1963 zufolge hielt immer noch ein Viertel der Deutschen die Attentäter des 20. Juli für Landesverräter, nur die Hälfte gestand ihnen patriotische Gesinnung zu. Erst 1980 einigten sich die Kultusminister der Bundesländer auf eine «Empfehlung zur Behandlung des Widerstandes in der NS-Zeit im Unterricht». Und wenn man sieht, wie umstritten es bis in unsereTage hinein ist, Schulen, Universitäten oder gar Bundeswehr-Einrichtungen und Kriegsschiffe nach Widerstandskämpfern zu benennen – dann kann man ermessen, wie schwer sich Deutschland mit dem viel beschworenen «Vermächtnis» des Widerstands gegen die NS-Diktatur immer noch tut.
    65. Was wurde in den Verjährungsdebatten debattiert? Große Anstrengungen waren nötig, den NS-Tätern auf die Spur zu kommen. Noch schwieriger war es, sie vor Gericht zu ziehen. Dass sie dann auch noch einer gerechten Strafe zugeführt wurden, blieb fast die Ausnahme. 1958 gründeten die Justizminister der Bundesländer in Ludwigsburg die «Zentrale Stelle zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen». Nach einigen vorangegangenen Justizskandalen stellte dies einen Wendepunkt in der bundesdeutschen Strafverfolgung dar und die Ermittlungsverfahren wurden zahlreicher. Seit dem Beginn der 1960er Jahre wurden jedoch nur noch Mord und Beihilfe zum Mord geahndet; Totschlag war seit 1960 verjährt. 1965 musste der Deutsche Bundestag darüber entscheiden, ob die Täter des «Dritten Reiches» bei ihrer Entdeckung künftig in den Genuss der Verjährung kommen sollten oder nicht. Nach damals geltendem Recht betrug die Verjährungsfrist für Mord und Beihilfe zum Mord 20 Jahre. Konnte die Bundesrepublik es zulassen, dass NS-Verbrecher für die Justiz nicht mehr erreichbar waren? Durfte sie es zulassen? Politische, juristische und moralische Fragen überlagerten sich. Die Stimmung war zudem aufgeheizt durch Propagandakampagnen der DDR gegen bundesdeutsche Politiker. Der Bundesminister für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte, Theodor Oberländer, einst überzeugter Nationalsozialist, war dort 1960 in Abwesenheit zu lebenslanger Zuchthausstrafe verurteilt worden; dem Staatssekretär im Bundeskanzleramt, Hans Globke, widerfuhr Gleiches 1963. Anschließend verstärkte sich auch die ostdeutsche Rufmordkampagne gegen Bundespräsident Heinrich Lübke. Im September 1964 beschloss die Volkskammer die «Nichtverjährung von Kriegsverbrechen», und Anfang Juni 1965 erschien in der DDR ein neues «Braun-Buch» über angeblich politisch belastete Persönlichkeiten in der Bundesrepublik.
    Angesichts eines solchen Klimas waren die Bundestagsdebatten, die 1965 mit einer Verlängerung der Verjährungsfrist für Mord um vier Jahre endeten – da die Strafverfolgung von 1945 bis 1949 behindert gewesen sei –, parlamentarische Sternstunden. InsbesondereErnst Benda von der CDU und Adolf Arndt von der SPD stachen mit brillanten Beiträgen hervor. Der Rechtsstaat von heute müsse auch die Gerechtigkeit anstreben, so Benda, und das Rechtsgefühl eines Volkes würde in unerträglicher Weise korrumpiert werden, «wenn Morde ungesühnt bleiben müssten, obwohl sie gesühnt werden könnten». Gegenüber Einwänden, die «Ehre der Nation» erfordere es, endlich einen Schlussstrich unter die Vergangenheit zu ziehen, konterte Benda: «Es gehört für mich zum Begriff der Ehre der Nation, zu sagen, dass dieses deutsche Volk doch kein Volk von Mördern ist und (…) von diesen Mördern befreit wird.» Die ernsthaft geführten Debatten strahlten weit in die Öffentlichkeit aus und beförderten so die Kenntnisse über die NS-Verbrechen. Noch ein weiteres Mal, 1969, wurde die Verjährung von Mord vom Gesetzgeber aufgeschoben; 1979 schließlich wurde sie aufgehoben. Somit konnten nationalsozialistische Gewaltverbrechen auch weiterhin verfolgt werden.
    66. Worum stritt man sich im «Historikerstreit»? Dass Zeitgeschichte oftmals «Streitgeschichte» ist, lässt sich nirgends besser dokumentieren als am «Historikerstreit» von 1986. Man muss ihn freilich in Anführungszeichen setzen, weil er gar keine fachliche Kontroverse unter Historikern war, sondern eine öffentliche, in Wochen- und Tageszeitungen ausgetragene polemische Auseinandersetzung unter Intellektuellen, bei der mit Geschichte Politik betrieben wurde. Worum ging es also?
    Es empfiehlt sich, mit dem 40. Jahrestag des Kriegsendes von 1945 zu beginnen. Bundeskanzler Helmut Kohl bemühte sich 1985 nach Kräften, die Bundesrepublik

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