Die 101 wichtigsten Fragen - die Bibel
Haarfarbe, Körperhaltung und physische Konstitution werden dem Leser vor Augen gestellt. Weder die Schriften des Alten noch die des Neuen Testaments enthalten solche Beschreibungen. Daher wissen wir auch nicht, wie Jesus aussah. Die Personenbeschreibung gehörte nicht zu den Darstellungsmitteln der biblischen Autoren.
Während die Bibel keine Personen beschreibt, finden sich in der griechischen und römischen Literatur zumindest Ansätze zu Personenporträts. Zunächst wurden nur Personen niederen Standes als lächerliche Zeitgenossen geschildert. Thersites, ein Grieche aus dem gemeinen Volk, wird von Homer als wenig attraktive Gestalt eingeführt: «Der hässlichste Mann, der gegen Troja gekommen: Säbelbeinig und hinkend auf einem Fuße, die Schultern höckrig, gegen die Brust zusammengebogen; darüber spitzte sich zu sein Kopf, besät mit spärlicher Wolle.» (
Ilias II
, 216–219) Ausführliche Porträts führender Männer liefert uns erst der Römer Sueton in seinen Biographien römischer Kaiser. Kaiser Tiberius (im Amt 14–37 n. Chr.) wird wie folgt geschildert: «Sein Körper war gedrungen und kräftig, seine Figur über Mittelgröße. Schultern und Brust waren breit, auch die übrigen Glieder bis zu den Füßen hinab ebenmäßig und wohlproportioniert. Seine linke Hand war geschickter und stärker…. Sein Gesicht, von edlem Ausdruck, war von vielen, plötzlich auftretenden Pickeln entstellt. Seine Augen waren sehr groß…. Tiberius schritt einher mit steifem, zurückgebogenem Nacken und fast immer mit ernster Miene. Meistens schwieg er.» (Sueton,
Kaiserbiographien: Tiberius
68) Die Personenbeschreibung Suetons ist für die Literatur der westlichen Welt vorbildlich geworden – und lässt uns das Fehlen dieses Darstellungsmittels in der Bibel umso schmerzlicher vermissen.
42. Die Apostelgeschichte: Roman oder Geschichtsbuch? Nachrichten über die ersten drei Jahrzehnte der Kirche – die Zeit von etwa 30 bis 60 n. Chr. – verdanken wir einem einzigen Autor: Lukas, dem Verfasser der
Taten der Apostel
, so der Originaltitel der Apostelgeschichte. Es ist schwer zu entscheiden, ob dieses Werk eher alsRoman oder als Geschichtsbuch aufzufassen ist. Noch schwerer aber ist es, über Lukas etwas zu sagen, ohne selbst zum Romanautor zu werden. Doch gehen wir das Risiko ein! Einige Fakten rechtfertigen solches Vorgehen: der Name des Mannes, dem Lukas sein Werk widmet, die Reihenfolge der Entstehung der von Lukas (wohl zu Beginn des 2. Jahrhunderts) verfassten Schriften und literarische Bezüge innerhalb seines Werks.
Am Anfang steht die Freundschaft von Lukas mit dem Griechen Theophilus. Der eine verfügt über hohe Bildung und die Kunst des Schreibens, der andere zeichnet sich durch Neugier und Besitz aus. Theophilus wird für Lukas zum literarischen Auftraggeber und Gönner – sprich Geldgeber. Die erste Aufgabe, die ihm Theophilus stellt, einen Bericht über die Worte und Taten Jesu zu liefern, kann Lukas rasch erledigen, denn er muss für seinen Auftraggeber nur eine Handschrift abschreiben lassen, die er selbst besitzt: das Markus-Evangelium. Theophilus lässt sich das Buch vorlesen, vielleicht von Lukas selbst. Das Vorlesen nimmt etwa zwei Stunden in Anspruch. Da wird der Wunsch nach einer Fortsetzung laut. Kein Problem, meint Lukas, und macht sich an die Arbeit. Er konsultiert ältere Gemeindemitglieder, die ihm diese und jene Geschichte erzählen, manche legendär, manche auf verlässlicher Überlieferung beruhend. Dann wird alles zusammengestellt, ein Buch konzipiert und in mehreren Arbeitsschritten niedergeschrieben.
So entsteht die Apostelgeschichte. Der Leser spürt sofort: Zwei Seelen wohnen in der Brust des Autors – die Seele eines Romanciers und die eines Historikers. Der Historiker will keine Information übergehen; der Romancier dagegen will den Leser mit einer guten Erzählung unterhalten. Das Ergebnis ist ein historischer Roman. Als Lukas das Werk abgeschlossen hatte, befriedigte ihn die Jesusbiographie von Markus nicht mehr. Bei seinen Recherchen über die Apostel war er auf weitere Geschichten über Jesus gestoßen, wohl auch auf schriftliches Material. Wieder gab es einen Auftrag von Theophilus – und so entstand, als Nebenprodukt zur Apostelgeschichte, das Lukas-Evangelium, ein weiteres Glanzstück frühchristlicher Erzählkunst.
In der Apostelgeschichte schildert Lukas in mehr oder weniger romanhafter Form das Schicksal der frühen Kirche, die er als «Nazoräer-Bewegung» und
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