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Die 13 1/2 Leben des Käptn Blaubär

Die 13 1/2 Leben des Käptn Blaubär

Titel: Die 13 1/2 Leben des Käptn Blaubär Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Moehrs
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Schiff zu verschlingen, ein mächtiger Unterkiefer, besetzt mit dünnen langen Zähnen, die kaum zu zählen waren. Gierig aufgeklappt war der Schlund, ich konnte in ihn hinabsehen wie in ein nasses Grab. Das Gesicht war von verhornten Runzeln und Schuppen übersät, von kleinen Kratern und tiefen Narben. Betäubt starrte ich weiter ins Wasser.
    Aber diese Visage konnte mich nicht schrecken. Sie war ja nur ein Gespinst meines ausgedörrten Verstandes.
    So dachte ich. War sie aber nicht. Es war ein Tyrannowalfisch Rex.
    Aus dem
»Lexikon der erklärungsbedürftigen Wunder,
Daseinsformen und Phänomene Zamoniens
und Umgebung«
von Prof. Dr. Abdul Nachtigaller
    Tyrannowalfisch Rex, der: Quermäuler aus der Ordnung der Knorpelfische, mit Verwandtschaftsverhältnissen zum Mörderwal, der Riesenmuräne, dem Haifisch, dem Fleischfressenden Saurier und dem Zyklopen. Vom Wal hat er die Größe, von der Muräne die Form des Unterkiefers, vom Haifisch die Gier, alles zu verschlingen, was in seinen Rachen paßt, vom Saurier den Instinkt, alles zu jagen, was sich bewegt, und vom Zyklopen die Einäugigkeit. Man darf den Tyrannowalfisch Rex mit seinen 45 Metern Körperlänge getrost zu den größten Raubtieren der Welt zählen. Seine Haut ist mit Knorpelkörnern durchsetzt und kohlenschwarz, weswegen man ihn auch den Schwarzen Wal nennt. Der Kopf besteht aus einer einzigen großen Knochenplatte, mit der er sogar größere Handelsschiffe durch Rammen zum Versinken nötigen kann. Dankenswerterweise ist der Tyrannowalfisch beinahe ausgestorben, manche Wissenschaftler behaupten, es gebe nur noch ein einziges Exemplar, das seit vielen Jahrzehnten die zamonischen Gewäs-
    ser unsicher mache. Viele Waljäger haben versucht, es zu erlegen, keinem ist es gelungen, viele davon wurden nie wiedergesehen.
    Erst als der Schwarze Wal vor mir aus dem Wasser auftauchte, erwachte ich aus meinem Tagtraum. Es war, als würde eine Insel aus dem Meer geboren, hoch über mein Floß erhob sich ein Gebirge aus dunklem Walspeck, mit Tausenden von Warzen, so groß wie Felsblöcke. In Sturzbächen lief das Wasser durch die Speckfalten den Buckel des Monstrums herab und stürzte zurück ins Meer. Die Wasserfälle erzeugten Strudel rings um den Wal, einer davon erfaß- te mein Floß und wirbelte es im Kreis herum.
    Ein atemberaubender Gestank verbreitete sich.
    Ich klammerte mich am Mast fest und versuchte, so wenig wie möglich zu atmen. Die Wirbel ließen nach, dafür blies der Wal jetzt durch sein Atemloch eine gigantische Wasserfontäne in die Luft, vielleicht hundert Meter hoch. Fasziniert beobachtete ich dieses Schauspiel, ohne daran zu denken, welche Folgen es für mich haben könnte.
    Einen Moment lang schien es, als ob die Fontäne einfrieren würde. Durchsichtig wie ein geeister Wasserfall stand sie vor der Sonne. Man konnte Tausende von Fischen darin sehen, kleine wie große, ganze Kabeljauschwärme, Tümmler und auch einige Haie, ein größerer Oktopus und das abgebrochene Steuerrad eines Schiffes.
    Dann stürzte die Fontäne zurück in den Ozean. Das Wasser kam mit einer Wucht auf mich nieder, als würden Lokomotiven ins Meer geworfen. Mein Floß wurde mit einem Schlag zertrümmert, immer tiefer wurde ich von den Wassermassen nach unten gepreßt. Rings um mich herum schlugen die Haie ein, die aber zum Glück selbst viel zu verdutzt waren, um nach mir zu schnappen.
    Endlich ließ der Druck nach, und ich schoß wieder an die Wasseroberfläche wie ein Korken. Kaum hatte ich Luft geholt und mich einigermaßen orientiert (ich befand mich direkt vor dem Zyklopenauge des Monstrums), da öffnete es seinen Schlund, um neues Wasser hineinzulassen.
    Ein brutaler Sog zerrte mich in das Walfischmaul. Ich bin sicher, das Ganze richtete sich nicht speziell gegen mich, ich bezweifle sogar, daß das Monstrum mich überhaupt wahrgenommen hatte, ich war keine Beute, die diesen Aufwand gerechtfertigt hätte. Der Wal atmete einfach nur. An seiner Oberlippe hingen zahllose Barten, meterlange lianenähnliche Tentakel, mit denen er seine Nahrung filterte. Im Vorbeitreiben gelang es mir, eine davon zu ergreifen. Ich klammerte mich fest, während das Wasser unter mir weiter in den Rachen des Tieres stürzte. Leicht war das nicht, die Barten waren glitschig und stanken empörend nach verwesendem Fisch, aber ich hielt mich mit aller Kraft fest. Die Wasseraufnahme war beendet, der Wal schloß wieder sein Maul. Jetzt galt es, nicht verschluckt zu werden. Um das zu erreichen,

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