Die 13 1/2 Leben des Käptn Blaubär
versetzte ich die Barte mit meinem Körper in Schwingung. Wenn das Maul sich schloß, während ich mich in einer Schwingung nach innen befand, hatte ich Pech gehabt.
Die Lippen schlossen sich sehr langsam.
Schwingung nach innen.
Die Unterlippe tauchte aus dem Meer auf, groß wie eine Sandbank.
Schwingung nach außen.
Gurgelnd verschwanden die letzten Wassermassen im Hals des Ungetüms.
Schwingung nach innen.
Ein Blick in den schwarzen Schlund des Walfisches, den ich besser nicht gewagt hätte. Ein Abgrund aus dunkelgrünem Schleim gähnte unter mir, ein atmendes Loch aus Verdauungssäften. Vor Schreck verließ mich beinahe alle Kraft, ich lockerte für einen Augenblick den Griff und rutschte ein Stück an der Barte hinab. Rechtzeitig genug griff ich wieder zu.
Schwingung nach außen.
Die Lippen des Monsters klatschten aufeinander. Ich hatte es geschafft, mit dem letzten Schwung nach außen zu kommen, und saß jetzt auf der klebrigen Unterlippe des Wals. Über mir rollte das Zyklopenauge, nahm mich aber nicht zur Kenntnis. Ohne viel darüber nachzudenken, ergriff ich den nächstbesten Knorpelvorsprung der Oberlippe und begann meinen Aufstieg.
Es war nicht einfach, an der verwarzten Hautoberfläche des Riesenwals emporzuklettern, aber mich trieb der Mut des Verzweifelten. Ich stieg direkt am Auge vorbei, von einem Knorpelvorsprung zum nächsten, über die Braue, die ein kleines Gebirge aus schwarzer Hornhaut war, bis hinauf in die tiefen Denkfalten des Untiers. Von da an ging es leichter, es wurde immer weniger steil, und bald hatte ich die ersten Ausläufer des Rückens erreicht.
Der Gestank der Bestie ist mit anständigen Worten nicht zu beschreiben. Hier oben wucherten ganze Korallenriffe, waren Seetangwälder und Muschelkolonien gewachsen. Überall zappelten Fische auf dem Trockenen, Krebse und Hummer liefen aufgeregt hin und her.
Ich kämpfte mich auf dem klebrigen Grund vorwärts, bis ich in einen Wald aus Harpunen geriet, die im Rückenknorpel des Wals steckten. Es waren wohl Hunderte, viele verrostet und mit faulenden Holzschäften, aber auch neue aus schimmerndem Stahl, mit blankpolierten Griffen. Es gab Harpunen in allen Größen, normale, die auch ich hätte werfen können, große, bis zu fünf Meter lange, die offensichtlich von Hünen geschleudert waren, und winzige, zahnstochergroße, die wahrscheinlich von Zwergpiraten stammten. An einer hing, von der eigenen Fangleine daran gefesselt, das Skelett eines glücklosen Waljägers.
Der Wal war jetzt völlig ruhig, still wie ein Schiff, das auf eine Untiefe gelaufen ist. Ich nutzte die Pause, um meine Situation zu überdenken. Mein Floß wurde gerade irgendwo im Inneren des Tyrannowalfischs verdaut, über kurz oder lang würde das Untier wieder abtauchen und mich entweder mit in die Tiefe reißen oder ohne schwimmbaren Untersatz im Meer zurücklassen. Daher beschloß ich, aus den Harpunenschäften ein neues Floß zu zimmern. Sie waren zu großen Teilen aus Holz, an vielen hingen noch die Fangleinen und Korkschwimmer, mit denen ich sie zusammenbinden konnte. Als erste zog ich eine brandneue, vielleicht drei Meter lange Lanze aus dem Knorpel.
Während ich zog, ging ein mildes Beben durch den Walrücken, nichts Beunruhigendes, eher ein leichtes Brummen, gefolgt von einem gewaltigen wohligen Seufzer, der weithin über das Meer schallte. Bei der nächsten Harpune geschah das gleiche, nur das Seufzen war noch länger und wohliger, vielleicht weil auch die Lanze länger war.
Dem Wal gefiel offensichtlich, was ich tat. Solange ich die Harpunen entfernte, war ich wahrscheinlich in Sicherheit.
So entfernte ich eine Harpune nach der anderen aus dem Rücken des Riesenfisches, mit größter Ruhe und Sorgfalt, um das Ungetüm nicht durch einen zu hastig gezogenen Widerhaken in Rage zu bringen. Binnen kürzester Zeit war ich ein Experte im Harpunenentfernen geworden. Man muß den Schaft zunächst leicht rütteln, damit die Lanze sich aus dem Knorpel löst, dann muß man mit einer behutsamen Wackelbewegung die Harpune herausziehen.
Je vorsichtiger und gekonnter ich die Stachel aus dem Fleisch des Wals herausoperierte, desto wohliger wurde sein Grunzen. Ein lustvoller Großseufzer nach dem anderen rollte über den Ozean, man konnte dem Untier die Erlösung anhören. Ich hatte nicht einmal gemerkt, daß sich der Fisch in Bewegung gesetzt hatte, so sehr war ich in meine Beschäftigung vertieft. Erst am erfrischenden Fahrtwind spürte ich, daß er sehr
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