Die 13 1/2 Leben des Käptn Blaubär
langsam und mit ruhigen Schwanzbewegungen durchs Meer schwamm. Anzeichen zum Abtauchen machte er jedoch keine.
Die Arbeit an den Harpunen war keine leichte, manche hingen mit ihren Widerhaken so hartnäckig fest, daß ich mich richtig abrackern mußte, um sie loszubekommen. Besonders die ganz langen saßen besonders tief, mit kräftiger Hand geschleudert und unerschütterlich im Knorpel verankert. Ich ackerte und schwitzte, eine willkommene Abwechslung zu meiner untätigen Sitzerei auf dem Floß. Ich bezweifle, daß irgend jemand außer mir jemals einen Tyrannowalfisch Rex hat seufzen hören. Es ist ein Geräusch, das sich mit keinem anderen vergleichen läßt. Jahre, vielleicht Jahrhunderte der Qual entluden sich in dankbarem Stöhnen. Brächte man zehntausend Seekühe dazu, sich in einem tiefen Schacht zu versammeln und gleichzeitig vor Liebe zu seufzen, und fügte man das Summen von einer Million vom Honigsammeln beseligter Hummeln dazu, könnte man vielleicht ein annähernd durchdringendes und zufriedenes Brummen erzeugen.
Nach etwa einem halben Tag war ich so gut wie fertig. Hunderte von Harpunen hatte ich gezogen, eine letzte war übriggeblieben, die ich jetzt mit einer gewissen Feierlichkeit entfernte. Ein letztes erlöstes Seufzen ging über den Ozean. Der Tyrannowalfisch Rex war harpunenfrei.
Im nächsten Augenblick begriff ich, daß ich einen Fehler gemacht hatte. Mit dem letzten Fangspeer hatte ich dem Wal auch den Grund genommen, mich auf seinem Rücken zu beherbergen. Er schickte sich an zu tauchen, was ich daran bemerkte, daß er tief Luft holte. In meinem Eifer hatte ich den Bau meines Floßes völlig aus den Augen verloren. Ich hatte die Harpunen achtlos ins Meer geworfen.
Ja, der Tyrannowalfisch Rex tauchte, aber tat das so langsam, fast zärtlich, daß ich durch seinen Tauchgang nicht unmittelbar gefährdet wurde. Er sank behutsam, wie ein sehr großes Schiff mit einem winzigen Leck. Ich glitt von seinem Rücken ins spiegelglatte Wasser, während die letzten Rü- ckenknorpel des Wals lautlos versanken. Dann war er ganz verschwunden. Ein paar riesige Luftblasen stiegen noch auf, vermutlich ein letzter Abschied aus seinem Atemloch. Ich paddelte ein bißchen im warmen Wasser herum und versuchte mich zu orientieren. Hier und da trieben noch ein paar Korkschwimmer herum, vielleicht konnte ich genü- gend von ihnen zusammenbekommen, um einen notdürftigen Rettungsring zu basteln. Als ich auf einen von ihnen zukraulte, sah ich eine Möwe über mir, die erste seit langer Zeit. Sie flog Richtung Westen, in die untergehende Sonne. Eine Wolke von kreischenden Seevögeln stand über einem Punkt am Horizont, dahinter zerschmolz die Abendsonne im Meer. Ein Schiff? Oder war das der Wal, an einer anderen Stelle wiederaufgetaucht? Ich schwamm dem Punkt entgegen. Je näher ich kam, desto deutlicher konnte ich erkennen, daß unter den Vögeln ein kleiner Wald aus Palmen zu stehen schien. Schon bald konnte ich einen Küstensaum erkennen, einen makellos weißen Sandstrand, der in üppige Vegetation überging.
Der Wal hatte mich, aus Absicht oder durch Zufall, in der Nähe einer Insel abgesetzt. Verlockende Düfte wehten über das Wasser zu mir her. Es waren mir bis dahin unbekannte, appetitanregende Gerüche, wie die von Vanille, geriebenem Muskat, ausgelassenem Knoblauch und gebratenem Fleisch. Diese Insel roch gut. Ich beschloß, sie mit dem Recht des Entdeckers in Besitz zu nehmen.
Als ich an Land kroch, war die Sonne fast vollständig untergegangen. Ich war so erschöpft, daß ich einfach am Strand liegenblieb und sofort wegdämmerte. Bevor ich endgültig ins Traumland hinübergesegelt war, hörte ich noch ein albernes mehrstimmiges Gekicher hinter dem nahen Waldvorhang. Aber das war mir gleichgültig, ich hatte davon nichts zu befürchten. Denn wer auch immer das war: Es waren meine Untertanen.
4.
Mein Leben
auf der
Feinschmecker-
insel
E in Chor von Singvögeln zwitscherte mich am nächsten Morgen aus meinen Entdeckerträumen. Ein riesiger, atemberaubend schöner Schmetterling saß auf meiner Nase und fächelte mir kühle Luft zu. Von einer nahen Palme fiel eine Kokosnuß neben mir in den Sand und platzte so akkurat in zwei gleiche Teile, daß kein Tropfen ihrer kostbaren Milch verschüttet wurde. Die Milch war köstlich, kühl und erfrischend, das Kokosmark zerging wie Sahne auf meiner Zunge.
Ein Reigen von Kolibris stand einen Augenblick über mir, formierte dann eine Kette und verschwand
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