Die 13. Stunde
Familien eilten schockiert nach Hause und ließen Byram Hills verlassen zurück. Chaos und Verwirrung wurden zum Normalzustand und bildeten die ideale Tarnung, um das Durcheinander zu beseitigen, das Sam Dreyfus hinterlassen hatte.
Dance’ Leute würden in Kürze in die Kanzlei von Aitkens, Lerner & Isles eindringen und sämtliche Videodateien vernichten, die gefährlich werden konnten, selbst wenn sie dafür das ganze Gebäude niederbrennen mussten. Und was Shamus Hennicots persönliche Anwältin anging …
Dance zog ein Handy aus der Tasche, das Sam Dreyfus gehört hatte. Der Trottel hatte es zurückgelassen, als er mit seinem kostbaren Mahagonikasten zum Flugzeug geflohen war.
Dance schaltete das Handy ein und blätterte durchs Telefonbuch, bis er Julia Quinns Büro- und Handynummer fand, die bequemerweise im Verzeichnis standen.
Dance wählte die Handynummer und drückte die Gesprächstaste. Es war sehr angenehm, dass die Anruferanzeige ihn als Sam Dreyfus ausweisen würde – das erste Saatkorn seiner Täuschung.
»Mrs. Quinn?«
»Ja?«
»Hier ist Sam Dreyfus von der DSG«, log Dance.
»Oh, Sie sind Pauls Bruder, nicht wahr? Wir hatten noch nicht das Vergnügen.«
»Sie können sich wahrscheinlich denken, weshalb ich anrufe.«
»Ja«, antwortete sie. »Ich kann mir nicht erklären, wie die Einbrecher hereingekommen sind.«
»Haben Sie sich das Video schon angesehen?«, fragte Dance, bemüht, nicht allzu interessiert zu klingen.
»Nein, der Server in Hennicots Haus ist zerstört, und nach dem Flugzeugabsturz und dem Blackout bin ich noch nicht ins Büro gekommen.«
»Der Stromausfall erschwert es natürlich, sich diese Dateien anzuschauen«, erwiderte Dance, froh, dass sie an die Computer heran konnten, ehe die Frau irgendetwas zu sehen bekam.
»Keine Sorge. Ich habe ein Back-up auf meinem PDA. Es ist ziemlich groß, aber sobald ich an einen Computer komme …«
»Na, so ein Glück.« Dance musste an sich halten, damit ihm seine Wut nicht anzuhören war.
»Ich muss Mr. Hennicot anrufen, auch wenn es mir schwerfällt, ihm die Neuigkeit zu überbringen.«
»Das geht uns allen so.« Dance ging völlig in seiner Rolle auf. »Haben Sie die Polizei schon benachrichtigt?«
»Wir ziehen die Polizei erst hinzu, wenn Shamus sein Okay gibt. Er sagt, er traut den Beamten nicht.«
»Das ist klug«, entgegnete Dance grinsend. »Sind Sie in der Stadt?«
Sie schwieg kurz. »Ich hätte eigentlich im Flugzeug sitzen müssen.«
»Wirklich?« Dance heuchelte Mitgefühl und wünschte, sie läge tatsächlich tot auf dem Sportfeld. Das hätte alles sehr einfach gemacht. »Diese Sache ist wirklich tragisch. Vielleicht können wir uns treffen«, fuhr er fort. »Sollen wir gemeinsam versuchen, Mr. Hennicot zu erreichen?«
»Ich bin im Moment unterwegs. Aber später, wenn ich zu Hause bin.«
»Wie wär’s, wenn wir uns heute Nachmittag unterhalten?«
»Versuchen Sie es auf meinem Handy oder im Festnetz. Die Nummer ist …«
»Augenblick, ich brauche was zu schreiben.« Dance log; er spielte noch immer seine Rolle. »Okay.«
»914 273-9296«.
»… 9296. Verstanden. Sollten Sie eher Zeit haben, rufen Sie mich unter dieser Nummer an.«
Dance legte auf. Wie gut, dass er Sams Handy behalten hatte. Dennoch hasste er die moderne Technik. Er zog gesprochene Worte der E-Mail vor, und Adressbücher und Terminkalender waren ihm lieber als Computer. Ganz besonders hasste er PDAs. Wie hatte die Technik sich so weit entwickeln können, dass man ein Überwachungsvideo in der Handtasche mit sich herumtragen konnte?
Dance nahm sein Funksprechgerät und gab einen Code ein. »Alle mal zuhören«, sagte er auf einem abgeschirmten Kanal. »Lasst stehen und liegen, was ihr gerade tut. Ihr müsst eine Julia Quinn finden, Anwältin bei Aitkens, Lerner und Isles. Wohnhaft in Byram Hills. Lasst euch vom Straßenverkehrsamt die Zulassungsnummer ihres Wagens geben. Die Frau ist in der Gegend unterwegs. Und fahrt in regelmäßigen Abständen an ihrem Haus vorbei. Mir ist es egal, wie ihr es macht, aber wir müssen die Frau finden, sonst sind wir nicht mehr lange auf freiem Fuß.«
»Was ist mit dem Kasten?«, drang eine Stimme aus dem Funkgerät, begleitet von Knistern und statischem Rauschen.
»Macht euch darüber keine Gedanken. Das ist mein Problem. Ihr tut nur, was man euch sagt. Wenn ihr Julia Quinn findet, lasst ihr sie nicht mehr aus den Augen und verständigt mich. Falls die Frau abhauen will, haltet sie auf. Um jeden
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