Die 2ten Chroniken von Fitz dem Weitseher 02 - Der goldene Narr
Grabhügeln.«
Chade nahm eine zweite Schriftrolle vom Tisch zwischen uns. Die war offensichtlich das Werk eines ausgebildeten Schreibers. Sorgfältig replizierte Symbole waren darauf zu sehen, die Ausrichtung jeder Facette des Pfeilers war markiert, und daneben fanden sich Anmerkungen zur Größe und genauer Lage des Originals. Chade hatte seine kleinen Bienchen offenbar ausgeschickt, um Informationen für ihn zu sammeln. »Welche Rune hat euch zum Strand gebracht?«, fragte mich Chade.
»Die hier.« Sie glich der für ›Strand‹ auf Kettrickens Schriftrolle abgesehen von ein, zwei Fortsätzen.
»Hat eine identische euch auch wieder zurückgebracht?«
Ich runzelte die Stirn. »Ich hatte kaum Zeit, mir das Aussehen der Rune genau zu merken, die mich zurückgebracht hat. Wie ich sehe, bist du während meiner Abwesenheit nicht untätig gewesen.«
Er nickte. »Es gibt noch weitere Steinpfeiler in den Sechs Provinzen. In ein paar Wochen werde ich Informationen über sie haben. Offensichtlich sind sie von Menschen mit der Gabe benutzt worden, und aus irgendeinem Grund war das Wissen, wie man sie benutzt, eine Zeit lang verloren. Aber wir haben jetzt die Gelegenheit, es wiederzuerlangen.«
»Nur unter großen Gefahren. Chade, darf ich dich darauf hinweisen, dass Pflichtgetreus und mein Ausflug an den Strand unter Wasser geendet hat? Und es hätte noch schlimmer kommen können. Stell dir vor, was passieren könnte, wenn einer der Ausgänge des Pfeilers genau auf den Boden deuten würde. Oder wenn der Pfeiler zerstört wäre. Was geschähe dann mit dem, der ihn benutzt?«
Chade wirkte ein wenig nervös, als er sagte: »Nun, dann nehme ich an, wäre der Weg versperrt, und man würde wieder zurückgeschickt.«
»Meine Vermutung ist eher, dass man aus dem Pfeiler in festen Stein manifestiert. Da ist keine Tür, an der man erst einmal stehen bleiben und hinausspähen kann. Du wirst hinausgeworfen, als würdest du durch eine Falltür fallen.«
»Aha. Ich verstehe. Nun, dann muss man ihre Verwendung eben noch gründlicher erforschen. Aber wenn wir die Gabenschriften studieren, finden wir wohlmöglich heraus, was jede Rune bedeutet und wohin das jeweilige ›Tor‹ sich ursprünglich öffnete. So werden wir dann irgendwann wissen, welche von ihnen man gefahrlos nutzen kann. Und vielleicht können wir die anderen reparieren. Was andere mit der Gabe in der Vergangenheit gemacht haben, können wir wiederentdecken.«
»Chade. Ich bin mir ganz und gar nicht sicher, ob diese Pfeiler das Werk von Gabennutzern sind. Vielleicht haben einige sie benutzt, aber jedes Mal, wenn ich durch einen hindurch gegangen bin, waren da Desorientierung und …« Ich suchte nach geeigneten Worten. »… Fremdartigkeit … Die Fremdartigkeit lässt mich fragen, ob wirklich Gabennutzer sie gebaut haben – falls sie denn überhaupt von Menschen errichtet worden sind.«
»Die Uralten?«, fragte Chade nach einem Augenblick.
»Ich weiß es nicht«, hatte ich ihm geantwortet.
Dieses Gespräch hallte durch meinen Geist, während ich die sorgfältig gestapelten Schriftrollen und verschlossenen Truhen im Gabenturm betrachtete. Vielleicht lagen hier die Antworten verborgen und warteten auf mich.
Ich wählte drei Schriftrollen aus dem Regal, die ich für die Neuesten hielt. Ich wollte mit jenen anfangen, die in Sprachen und Schriften verfasst waren, die ich gut kannte. Von Solizitas fand ich keine, was mir ein wenig seltsam vorkam. Unsere letzte Gabenmeisterin musste doch irgendetwas von ihrer Weisheit zu Papier gebracht haben; es wurde allgemein davon ausgegangen, dass jemand, der den Meisterstatus erreicht hatte, irgendetwas Einmaliges an seine Nachfolger weiterzugeben hatte. Aber falls Solizitas je irgendwas geschrieben haben sollte, so fand es sich zumindest nicht unter diesen Schriftrollen. Die drei, die ich schließlich auswählte, stammten von einem Mann mit Namen Kniebaum und waren als Übersetzung eines älteren Manuskripts von Gabenmeister Oklef gekennzeichnet. Die Übersetzungen waren auf Wunsch von Gabenmeister Gerster angefertigt worden. Ich hatte noch nie von einem von ihnen gehört. Ich klemmte mir die drei Schriftrollen unter den Arm und verließ den Raum durch die Geheimtür am Kamin.
Ich beabsichtigte, die Schriftrollen in Chades Turmzimmer zu deponieren. Sie gehörten nicht in Tom Dachsenbless' Kammer. Aber bevor ich dorthin ging, machte ich einen kleinen Umweg durch die Geheimgänge, bis ich einen unregelmäßigen Riss in der Wand
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