Die 2ten Chroniken von Fitz dem Weitseher 02 - Der goldene Narr
das Schreiben bot, mich zu solch einer Torheit verleitete? Kein Geheimnis war sicher, solange es nicht im Geist eines Menschen weggesperrt war. Ich hätte die Schriftrollen schon vor langer Zeit verbrennen sollen.
»Bitte, Narr. Geh für mich zu Chade. Ich muss zu meiner Hütte zurück. Jetzt. Heute.«
Der Narr legte mir vorsichtig die Hand auf die Schulter. »Fitz. Wenn jemand die Schriftrollen bereits entdeckt hat, ist es ohnehin zu spät. Mit der plötzlichen Abreise von Tom Dachsenbless, wirst du nur Neugier erregen und deine Verfolger provozieren. Du könntest die Gescheckten direkt zu ihnen führen. Sie werden damit rechnen, dass du fliehst, nachdem sie dich bedroht haben. Sie werden die Tore von Burgstadt beobachten. Denk also in Ruhe nach. Es könnte sein, dass deine Ängste unbegründet sind. Wie sollten sie Tom Dachsenbless mit Harm in Verbindung bringen, geschweige denn wissen, woher der Junge kommt? Handele nicht überstürzt. Sprich erst mit Chade, und erzähl ihm von deiner Befürchtung. Und rede auch mit Prinz Pflichtgetreu. Heute Abend ist seine Verlobung. Der Junge hält sich gut, aber das ist nur eine dünne, brüchige Fassade. Sprich mit ihm, und beruhige ihn.« Dann hielt er kurz inne. »Vielleicht könnte man jemand anderen schicken …«
»Nein«, unterbrach ich ihn entschlossen. »Ich muss selber gehen. Ein paar Sachen dort werde ich mitnehmen, den Rest vernichten.« Meine Gedanken tanzten an dem angreifenden Bock vorbei, den der Narr in meinen Tisch geschnitzt hatte. FitzChivalric Weitsehers Wappen zierte Tom Dachsenbless Tisch. Selbst das kam mir jetzt wie eine Bedrohung vor. Verbrennen, beschloss ich. Ich würde die ganze Hütte niederbrennen. Ich durfte nichts hinterlassen, das darauf hinweisen könnte, dass ich einst dort gelebt hatte. Selbst die Kräuter im Garten verrieten zu viel über mich. Ich hätte niemals den Schatten meiner Person und meine Geheimnisse für jeden erreichbar zurücklassen dürfen; ich hätte mir niemals erlauben dürfen, so offensichtliche Spuren zu hinterlassen.
Der Narr klopfte mir auf die Schulter. »Iss etwas«, schlug er vor. »Dann wasch dir das Gesicht, und zieh dich um. Triff keine übereilten Entscheidungen. Wenn wir unseren Kurs beibehalten, werden wir das überleben, Fitz.«
»Dachsenbless«, erinnerte ich ihn und stemmte mich wieder in die Höhe. Bis ins Kleinste mussten wir uns an unsere Rollen halten. »Ich bitte Euch um Verzeihung, Euer Gnaden. Einen Augenblick lang fühlte ich mich ein wenig schwach, aber nun habe ich mich erholt. Ich entschuldige mich dafür, Euer Frühstück unterbrochen zu haben.«
Einen Augenblick lang war das Mitgefühl des Narren offen in seinen Augen zu sehen. Dann, ohne ein weiteres Wort, setzte er sich wieder an den Tisch. Ich schenkte ihm Tee nach, und er aß in grüblerischem Schweigen. Derweil ging ich durch den Raum und suchte nach einer Aufgabe, doch es war so sauber und ordentlich, dass mir als Diener nicht viel zu tun übrig blieb. Plötzlich erkannte ich, dass diese Sauberkeit Teil seiner Privatsphäre war. Er hatte sich selbst beigebracht, niemals Spuren von sich zu hinterlassen, außer solchen, die er gefunden wissen wollte. Das zeugte von einer Disziplin, die ich mir auch aneignen sollte. »Würdet Ihr mich bitte eine Weile entschuldigen?«, fragte ich.
Er stellte die Tasse ab und dachte kurz nach. »Sicherlich. Ich werde bald ausgehen, Dachsenbless. Sieh zu, dass du die Frühstückssachen wegräumst. Dann hol frisches Wasser, mach den Kamin sauber, und besorg Feuerholz. Anschließend schlage ich vor, dass du dich mit den Wachen im Kampf übst. Ich erwarte, dass du mich heute Nachmittag auf meinem Ausritt begleitest. Bitte, kleide dich dementsprechend.«
»Jawohl, Euer Gnaden«, stimmte ich mit leiser Stimme zu. Ich ließ ihn essen und zog mich in meine eigene, dämmrige Kammer zurück. Rasch ließ ich meinen Blick durch den Raum schweifen. Ich würde nichts hier behalten, beschloss ich, außer jenen Dingen, die mit Tom Dachsenbless in Verbindung standen. Ich wusch mir das Gesicht und strich mein Haar glatt. Dann zog ich meine blaue Dienerkleidung an. Anschließend sammelte ich meine alten Kleider und meine Satteltaschen ein, die Rolle mit Dietrichen, die Chade mir gegeben hatte, und noch ein paar andere Gegenstände, die ich aus der Hütte mitgenommen hatte. Bei meiner eiligen Suche stieß ich auf eine von Salzwasser verschrumpelte Börse mit einem Klumpen darin. Die Lederbänder waren knochentrocken und
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