Die 2ten Chroniken von Fitz dem Weitseher 02 - Der goldene Narr
steif. Ich musste sie aufschneiden. Als ich den Inhalt ausschüttete, erkannte ich, dass der Klumpen die seltsame Figur war, die der Prinz während unseres unglücklichen Abenteuers am Strand gefunden hatte. Ich steckte sie in die ruinierte Börse zurück, um sie ihm später wiederzugeben, und legte sie oben auf mein Bündel. Dann schloss ich die Außentür meiner Kammer, betätigte den verborgenen Schalter in der Wand und ging durch den stockdunklen Raum zu einer anderen Wand. Geräuschlos gab sie auf meinen Druck hin nach. Lichtstrahlen von oben verrieten das Vorhandensein der Schlitze, durch die die Geheimgänge der Burg erhellt wurden. Ich schloss die Tür wieder hinter mir und begann den steilen Aufstieg zu Chades Turm.
Kapitel 2
Chades Diener
Hoquin der Weiße besaß einen Hasen, den er sehr liebte. Der Hase lebte in seinem Garten, kam zu ihm gelaufen, wenn Hoquin ihn rief und lag stundenlang auf dessen Schoß. Hoquins Katalyst war eine sehr junge Frau, die fast noch ein Kind war. Ihr Name war Redda, doch Hoquin nannte sie ›Wildauge‹, denn eines ihrer beiden Augen spähte immer zur Seite. Sie mochte den Hasen nicht, denn wann immer sie sich neben Hoquin setzte, wurde das Tier eifersüchtig und versuchte sie zu beißen. Eines Tages starb der Hase, und als Redda ihn tot im Garten fand, häutete sie ihn und bereitete aus ihm eine Mahlzeit zu. Erst nachdem Hoquin der Weiße davon gegessen hatte, vermisste er sein Tier. Redda erklärte ihm frohgemut, dass er es verspeist habe. Hoquin wurde zornig und tadelte Redda, doch sie erwiderte wenig reumütig: »Aber Meister, Ihr habt es selbst vorausgesehen. Wolltet Ihr nicht in Eure siebte Schriftrolle schreiben, ›Der Prophet hungerte nach der Wärme seines Fleisches, obwohl er wusste, dass dies sein Ende bedeuten würde?‹ «
SCHREIBER CATEREN:
ÜBER DEN WEISSEN PROPHETEN HOQUIN
Ich hatte gut die Hälfte des Aufstiegs zu Chades Turm hinter mich gebracht, als ich plötzlich erkannte, was ich hier wirklich tat. Ich war auf der Flucht. Ich hielt auf ein Schlupfloch zu und hoffte insgeheim, dass mein alter Mentor da sein würde, der mir genau sagte, was ich als nächstes tun sollte – genau so, wie er es früher getan hatte, als ich als Assassine bei ihm in der Lehre gewesen war.
Meine Schritte wurden langsamer. Was für einen jungen Burschen von siebzehn Jahren angemessen war, stand einem Mann von 35 schlecht an. Es war an der Zeit, dass ich mir meinen eigenen Weg durch die Hofintrigen suchte – oder ich musste Bocksburg endgültig verlassen.
Ich kam an einer der kleinen Nischen im Gang vorüber, die mit einem Guckloch ausgestattet waren. Eine kleine Bank war in die Nische eingebaut. Ich stellte mein Bündel darauf und setzte mich, um meine Gedanken zu sammeln. Was war jetzt die vernünftigste Handlungsmöglichkeit?
Sie alle zu töten.
Das wäre ein guter Plan gewesen, hätte ich denn gewusst, wo ich die Gescheckten finden könnte. Die zweite Möglichkeit war weitaus komplizierter. Ich musste nicht nur mich selbst, sondern auch den Prinzen vor ihnen beschützen. Ich schob die Sorgen über meine eigene Sicherheit beiseite und dachte über die Gefahr für den Prinzen nach. Ihre Waffe war die Drohung, uns jederzeit als Menschen zu denunzieren, die über die Alte Macht verfügten. Die Herzöge der Sechs Provinzen würden solch einen Makel bei ihrem Monarchen nicht dulden. Eine Enthüllung würde nicht nur Kettrickens Hoffnung auf ein friedliches Bündnis mit den Äußeren Inseln zerstören, sondern höchstwahrscheinlich auch die Weitseher vom Thron stoßen. Doch solch ein extremes Handeln war – soweit ich sehen konnte – für die Gescheckten ohne Wert. War Pflichtgetreu erst einmal gestürzt, würde ihnen ihr Wissen nicht länger nützlich sein. Schlimmer noch: Sie würden zugleich eine Königin stürzen, die ihrem Volk Toleranz gegenüber jenen mit der Alten Macht predigte. Nein. Die Drohung, Pflichtgetreu bloßzustellen, war nur so lange nützlich, wie er in der direkten Thronfolge ganz oben stand. Sie würden nicht versuchen, ihn zu töten, sondern nur darauf hinarbeiten, dass er sich ihrem Willen unterwarf.
Was konnte das bedeuten? Was würden sie verlangen? Würden sie fordern, dass die Königin die Gesetze mit aller Macht durchsetzt, welche es verboten, jene mit der Alten Macht nur ob ihrer magischen Blutlinie hin zu verhaften und zu verurteilen? Würden sie mehr verlangen? Sie wären Narren, wenn sie nicht zumindest versuchen würden, sich selbst
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