Die 2ten Chroniken von Fitz dem Weitseher 02 - Der goldene Narr
Ich würde die Dinge ihren Lauf nehmen lassen. Wenn er bereit war, würde ich ihm die einzige Erklärung geben, die ich ihm geben konnte: die Wahrheit. Ich hatte ihn nicht in Gehorsam an mich binden, sondern ihn nur davon abhalten wollen, mich zu töten. Ich seufzte bei dem Gedanken und beugte mich wieder über meine Arbeit.
Es war Abend, und ich saß oben in Chades Turm. Seit dem Nachmittag war ich hier und wartete auf Dick. Das war schon wieder eine Verabredung, zu der er nicht erschienen war. Ich hatte Chade bereits darauf hingewiesen, dass weder er noch ich viel tun könnten, wenn der Schwachkopf nicht freiwillig zu mir kommen würde. Trotzdem hatte ich meine Zeit nicht verschwendet. Zu der Handvoll älterer, recht obskurer Gabenschriften, die wir Stück für Stück übersetzten, hatte Chade mir zwei alte Schriftrollen gegeben, die sich mit Eisfeuer beschäftigten, dem Drachen der Gottesrunen. Beide behandelten Legenden, aber Chade hoffte, dass ich die verschiedenen Körnchen Wahrheit finden würde, die ihnen zugrunde lagen. Er hatte bereits Spione auf die Äußeren Inseln geschickt. Einer fuhr sogar auf dem Schiff der Narcheska mit; angeblich wollte er sich die Überfahrt verdienen, um Verwandte auf den Inseln zu besuchen. Sein tatsächlicher Auftrag war jedoch, nach Aslevjal weiterzureisen, oder zumindest so viel wie möglich über die Insel herauszufinden und Chade Bericht zu erstatten. Der alte Mann fürchtete, dass Pflichtgetreu wirklich gehen musste, nachdem er sich in aller Öffentlichkeit dazu verpflichtet hatte; aber er war fest entschlossen, den Prinzen nur gut vorbereitet und in fähiger Begleitung losziehen zu lassen. »Vielleicht werde ich sogar selber mit ihm gehen«, hatte Chade mich bei unserem letzten zufälligen Zusammentreffen im Turm informiert. Ich hatte gestöhnt, aber zum Glück leise. Er war einfach zu alt für solch eine Reise. Mit einer enormen Willensanstrengung behielt ich auch diese Worte für mich, denn ich wusste, was auf jedweden Protest folgen würde: »Und wen, glaubst du, sollte ich sonst schicken?« Ich war genauso wenig erpicht darauf, selbst nach Aslevjal zu fahren, wie Chade gehen zu sehen – oder Prinz Pflichtgetreu.
Ich schob die Eisfeuerschriftrolle beiseite und rieb mir die Augen. Sie war interessant, aber ich bezweifelte, dass irgendetwas darin den Prinzen auf seine Queste vorbereiten konnte. Dem nach zu urteilen, was ich über unsere Steindrachen wusste, oder auch nach dem, was der Narr mir über den BingtownDrachen erzählt hatte, war es mehr als unwahrscheinlich, dass wirklich ein Drache im Eis dieses Gletschers auf den Äußeren Inseln schlief. Wahrscheinlicher war, dass man einem ›schlafenden Drachen‹ schlicht die Schuld für Erdbeben in die Schuhe schob, oder wenn der Gletscher kalbte. Außerdem hatte ich erst einmal genug von Drachen. Je mehr ich mich mit der Schriftrolle beschäftigte, desto beunruhigendere Gedanken an den verschleierten Bingtowner störten meinen Schlaf. Ich konnte lediglich hoffen, dass das nur meine Sorgen waren.
Mein Blick fiel auf die schwere Tonschüssel, die kopfüber in einer Ecke des Tisches stand. Darunter lag eine tote Ratte, oder besser gesagt: der größte Teil einer toten Ratte. Ich hatte sie vergangene Nacht von dem Frettchen bekommen. Ich hatte tief und fest geschlafen, als ich vom zwiehaften Schrei eines Wesens geweckt worden war, das furchtbare Schmerzen litt. Das war kein gewöhnlicher Tod eines Tieres gewesen. Solche Ereignisse war jeder gewöhnt, der über die Alte Macht gebot. Normalerweise glich das Ende kleiner Tiere dem Platzen einer Blase. Bei den Tieren war der Tod das tägliche Risiko, das nun einmal Teil des Lebens war. Nur ein Mensch, der mit einem Tier verschwistert war, hätte in derartiger Verzweiflung, Wut und Trauer ob des Todes eines Wesens aufgeschrien.
Nachdem ich von diesem Schrei erst einmal geweckt worden war, hatte ich alle Hoffnung auf Schlaf aufgegeben. Es war, als wäre die Wunde plötzlich wieder aufgerissen worden, die Nachtauges Tod mir zugefügt hatte. Ich war aufgestanden, hatte den Narren aber nicht aufwecken wollen und war stattdessen in den Turm hinaufgestiegen. Auf dem Weg dorthin hatte ich das Frettchen getroffen, das eine Ratte durch die Gänge geschleift hatte. Es war die größte, kräftigste Ratte gewesen, die ich je gesehen hatte. Nach einer kurzen Jagd und einem kleinen Gerangel hatte das Frettchen sie mir überlassen. Natürlich konnte ich nicht beweisen, dass diese Ratte
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