Die 2ten Chroniken von Fitz dem Weitseher 02 - Der goldene Narr
unter dem azurblauen Himmel glitzert. Nun wissen alle, dass im Winter die Ebbe besonders niedrig ist und ein Boot unter dem Rand des Gletschers ins Herz der Insel vorstoßen kann. Dort schläft, wie wir alle wissen, der Drachen inmitten seines Schatzes. Manche sagen, ein kühner Mann könne dorthin gehen und Eisfeuer um einen Gefallen bitten, der dort in der Kälte des Gletschers schläft. Andere wiederum behaupten, nur ein wirklich dummer und gieriger Mensch würde so etwas tun, denn es heißt, Eisfeuer würde solch einem Menschen nicht nur geben, worum er bittet, sondern auch, was er verdient, und das ist nicht immer Glück und Gold. Um Eisfeuer auf diesem Weg zu besuchen, muss man schnell sein; man muss warten bis das Wasser unter die Eiskante gesunken ist und dann wie ein Pfeil hineinschießen, sobald das Boot zwischen Wasser und Eis passt. Einmal in diesem kalten Saphirpalast muss man die Schläge seines eigenen Herzens zählen, denn wenn man zu lange bleibt, wird die Flut zurückkehren, um das Boot zwischen Wasser und Eis zu fangen und den Menschen zu zermalmen. Und das ist noch nicht das Schlimmste, was einem widerfahren kann, wenn man dorthin geht. Nur wenige können von einem Besuch an diesem Ort berichten, und noch weit weniger davon kann man glauben.
Owan wusste das nur allzu gut, denn seine Mutter hatte es ihm erzählt, ebenso wie seine Frau und die Mutter seiner Frau. »Du hast keinen Grund, beim Drachen an die Tür zu klopfen«, warnten sie ihn. »Du wirst nicht mehr von Eisfeuer erhalten, als ein dreister Bettler an deiner Tür bekommen würde.« Selbst Owans jüngerer Sohn wusste das, und der war erst sechs Winter alt. Aber sein älterer Sohn zählte schon siebzehn Jahre, und sein Herz und seine Lenden brannten für Gedrena, Tochter von Sindre von den Linsfall-Müttern. Sie war eine reiche Braut, weit vermögender als dass der Sohn eines Fischers um sie hätte werben können. So summte der ältere Sohn Owan des Nachts wie eine Mücke ins Ohr und jammerte, dass sie beide reiche Männer sein könnten, wenn sie nur den Mut aufbrächten, Eisfeuer zu besuchen.
OUTISLANDER SCHRIFTROLLE: »EISFEUERS
LAGER«
Am folgenden Morgen brachen die Outislander auf; mit der Flut setzten sie die Segel. Ich beneidete sie nicht um ihre Fahrt. Der Tag war rau und kalt, und Gischt spritzte von den Wellenbergen hoch. Den Outislandern schien das raue Wetter jedoch nichts auszumachen; für sie war das offenbar ganz alltäglich. Ich hörte, dass es eine Prozession zu den Docks hinunter gab, und dass man Elliania dort formell verabschiedete, bevor sie an Bord des Schiffes zu den Gottesrunen ging. Pflichtgetreu beugte sich über ihre Hand und küsste sie. Sie knickste vor ihm und der Königin. Dann sagte auch Blutklinge formell Lebewohl, gefolgt von seinen Edelleuten. Peottre war der Letzte, der sich von den Weitsehern verabschiedete. Er war auch derjenige, der die Narcheska aufs Schiff eskortierte. Sie alle standen an Deck und winkten, während das Schiff aus dem Hafen geschleppt wurde. Ich glaube, die Leute, die Zeugen des Abschieds wurden, waren enttäuscht, dass es nicht noch in letzter Sekunde zu dramatischen Szenen kam. Fast wirkte die Abschiedszeremonie wie die Ruhe vor dem Sturm. Vielleicht war Elliania von den Ereignissen des vorherigen Abends noch viel zu benommen, als dass sie in allerletzter Minute alles noch einmal umgeworfen hätte.
Ich wusste, dass sich die Königin und Chade nach dem formellen Bankett noch einmal in Ruhe mit Schwarzwasser und Blutklinge besprochen hatten. Das Treffen war in aller Eile arrangiert worden und hatte bis in die frühen Morgenstunden gedauert. Dabei hatte man mit Sicherheit über das ungezügelte Verhalten des Prinzen und der Narcheska gesprochen, aber wichtiger noch war, dass sich die Queste des Prinzen im Laufe der Diskussion zu einer ausgedehnten Visite der Äußeren Inseln im Allgemeinen verwandelt hatte. Chade erzählte mir später, dass man weniger über die Tötung des fragwürdigen Drachen als vielmehr über einen Zeitplan für den Besuch des Prinzen beim Obhaupten und Ellianias Mütterhaus gesprochen hatte. Der Obhaupten war eine lose Allianz von Clanoberhäuptern und Stammesführern, die mehr als Handelszentrale denn als irgendeine Art Regierung diente. Ellianias Mütterhaus war jedoch etwas vollkommen anderes. Chade hat mir berichtet, dass Peottre ausgesprochen nervös gewirkt hätte, als er erklärt hatte, solch ein Besuch müsse unbedingt Bestandteil von
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