Die 2ten Chroniken von Fitz dem Weitseher 02 - Der goldene Narr
in solchen Dingen hing er sie an den Haken und drehte ihn über das Feuer, um die Suppe wieder aufzuwärmen. Dann riss er einen Laib Brot entzwei und legte ihn auf einen Teller neben die Flammen. »Soll ich Teewasser aufsetzen? Das würde dir besser bekommen als all der Wein, den du in dich hineinschüttest.«
Ich stellte mein leeres Glas auf den Tisch, füllte es aber nicht wieder auf. »Manchmal versetzt du mich in Erstaunen. Was du als Prinz alles weißt, ist schon überraschend.«
»Nun. Du kennst meine Mutter ja – die Dienerin des Volkes. Als ich klein war, hat sie darauf bestanden, dass ich nach Art ihres Volkes erzogen werde. Also musste ich selbst die einfachsten Aufgaben wie ein simpler Bauernjunge lernen. In Bocksburg konnte das aber nicht so weiter gehen, sie beschloss, mich ohne Diener und Aufpasser in die Welt hinaus zu schicken. Ich sollte in die Berge gehen, doch Chade drängte darauf, dass ich in den Sechs Provinzen blieb. Damit hatte sie nur eine Wahl. Als ich acht Jahre alt wurde, schickte sie mich zu Prinzessin Philia, um ihr anderthalb Jahre als Page zu dienen. Unnötig zu erwähnen, dass man mich dort nicht wie ein verwöhntes Prinzlein behandelt hat. Die ersten zwei Monate vergaß Prinzessin Philia immer wieder meinen Namen, aber sie lehrte mich eine wunderbare Vielzahl von Dingen.«
»Kochen hast du aber nicht von Prinzessin Philia gelernt«, bemerkte ich, bevor ich meine Zunge im Zaum halten konnte.
»Oh, und das habe ich doch«, erwiderte Pflichtgetreu mit einem Grinsen. »Das war eine Notwendigkeit. Wenn sie spät in der Nacht etwas in ihrem Zimmer warm gemacht haben wollte, habe ich das für sie erledigt. Wenn sie es selber gemacht hätte, wäre wohl das ganz Zimmer in Rauch aufgegangen – als Köchin war sie nicht gerade begabt. Litzel hat mir beigebracht, wie man Essen warm macht, und auch noch eine Reihe von anderen Dingen. Ich kann besser häkeln als die Hälfte der Hofdamen.«
»Wirklich?«, fragte ich überrascht. Pflichtgetreu hatte mir den Rücken zugekehrt, während er im Topf rührte. Plötzlich roch die Suppe hervorragend. Meinen kleinen Lapsus schien der Prinz nicht bemerkt zu haben.
»Ja, das kann ich. Wenn du willst, kann ich es dir ja irgendwann beibringen.« Er nahm die Suppe vom Feuer, rührte noch einmal darin herum und brachte sie mit dem Brot zum Tisch. Als er alles vor mich hinstellte, als wäre er mein Page, bemerkte er: »Litzel hat erzählt, dass du als Junge nie viel gelernt hast. Du seiest viel zu ungeduldig gewesen, um lange sitzen zu bleiben.«
Ich hatte bereits nach dem Löffel gegriffen; jetzt legte ich ihn wieder beiseite. Pflichtgetreu ging wieder zum Kamin zurück und schaute nach dem Teewasser. »Noch nicht heiß genug«, sagte er und fügte dann hinzu: »Litzel hat mir immer gesagt, die Dampfwolke solle stets eine Handbreit über dem Ausguss stehen, wenn der Tee gut werden soll. Aber ich bin sicher, das hat sie dir auch gesagt. Sowohl Prinzessin Philia als auch Litzel haben mir viele Geschichten über dich erzählt. Hier in Bocksburg habe ich nur wenig über dich gehört. Man hat deinen Namen genauso oft mit einem Fluch wie mit Bedauern ausgesprochen. Jetzt, da ich deinen richtigen Namen weiß, kenne ich endlich auch das Gesicht zu diesen Erzählungen. Als ich bei Philia gelebt habe, war es, als könnte sie nicht anders, obwohl sie bei diesen Geschichten oft zusammengebrochen ist und geweint hat. Das ist die eine Sache, die ich bei alledem nicht verstehe. Sie hält dich für tot, und sie trauert um dich. Jeden einzelnen Tag. Wie kannst du das zulassen? Deine eigene Mutter!«
»Prinzessin Philia ist nicht meine Mutter«, korrigierte ich ihn schwach.
»Sie sagt es jedenfalls«, erwiderte er säuerlich. »Sie hat mir immer gesagt, was ich wirklich essen, tun und tragen wollte. Wenn ich dann protestiert habe, dass ich das ganz und gar nicht wolle, hat sie stets erklärt: ›Mach dich nicht lächerlich. Ich weiß, was du willst. Ich kenne mich mit Jungen aus! Ich hatte selbst mal einen Sohn.‹ Damit hat sie dich gemeint«, fügte er für den Fall hinzu, dass mir der Bezug entgangen sein sollte.
Schweigend saß ich auf meinem Stuhl. Ich sagte mir selbst, dass ich noch nicht ganz gesund sei, dass die kalten, schmerzhaften Tage in der Zelle, die Gabenheilung, die Wiederherstellung meiner Narben, und ja, auch die ablehnende Haltung des Narren, mich geschwächt und ausgelaugt hatten. Deshalb zitterte ich jetzt, und mein Hals zog sich zusammen, und ich
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