Die 2ten Chroniken von Fitz dem Weitseher 03 - Der weisse Prophet
spülte einen Schluck Branntwein herunter, um die Verkrampfung zu lösen.
»Er war der bessere Mann für sie«, fügte ich mühsam hinzu. Über die Jahre hinweg hatte ich selbst mir das auch schon oft gesagt.
»Ich frage mich, ob sie wohl auch so denken würde«, sinnierte der Prinz, blickte dann auf mein Gesicht und fügte rasch hinzu: »Verzeih mir. Es ist nicht an mir, über solche Dinge nachzudenken. Aber ... aber ich bin noch immer entsetzt, dass meine Mutter das zugelassen hat. Wie oft hat sie mir mit allem Nachdruck erklärt, welche Last auf meinen Schultern als Thronfolger ruht ? «
»Sie ist in dieser Frage Fitz' Gefühlen gefolgt. Gegen meinen Rat«, erklärte Chade. Deutlich hörte ich die Befriedigung darüber hinaus, dass er sich endlich rechtfertigen konnte.
»Ich verstehe. Nein, eigentlich verstehe ich es nicht, denn die Frage ist: Wie hast du Nessel in der Gabe unterrichtet? Hast du in ihrer Nähe gelebt oder... ?«
»Ich habe sie nicht unterrichtet. Was sie darüber weiß, hat sie sich selbst beigebracht.«
»Aber man hat mir gesagt, das sei furchtbar gefährlich!« Pflichtgetreus Entsetzen wurde immer größer. »Wie konntest du zulassen, dass sie derart in Gefahr gebracht wurde, wohl wissend, was sie für den Weitseherthron bedeutet?« Diese Frage war an mich gerichtet; dann verlangte Pflichtgetreu vorwurfsvoll von Chade zu wissen: »Hast du verhindert, dass sie an den Hof kommt? Hast du es getan, aus der dummen Idee heraus, den Namen der Weitseher zu schützen?«
»Ganz und gar nicht, mein Prinz«, leugnete Chade. Ruhig wandte er den Blick zu mir und erklärte Pflichtgetreu: »Viele Male habe ich Fitz gebeten zuzulassen, dass man Nessel nach Bocksburg bringt, damit sie ihre Bedeutung für den Weitseherthron und den Umgang mit der Gabe lernen kann. Doch auch in diesem Fall ist Fitz seinen Gefühlen gefolgt und hat seinen Willen durchgesetzt. Diesmal nicht nur gegen meinen, sondern auch gegen den Rat der Königin.«
Der Prinz atmete mehrmals tief durch. »Das ist unglaublich«, sagte er leise. »Und unerträglich. Das wird korrigiert werden. Ich werde es selbst tun.«
»Was sollen wir tun?«
»Diesem Mädchen sagen, wer sie ist! Und dann werde ich sie an den Hof holen, wo man sie behandeln wird, wie es ihrer Geburt entspricht. Ich werde dafür sorgen, dass sie in allen Dingen erzogen wird, einschließlich der Gabe. Meine Cousine wächst als Landmädchen auf, zieht Kerzen und füttert die Hühner! Was, wenn der Weitseherthron sie benötigen sollte? Ich kann noch immer nicht fassen, dass meine Mutter das zugelassen hat!«
Gibt es etwas Furchtbareres, als in die rechtschaffenen Augen eines Fünfzehnjährigen zu blicken und zu wissen, dass er über die Macht verfügt, das eigene Leben vollends durcheinander zu wirbeln? Ich fühlte mich so verwundbar, dass sich mir der Magen herumdrehte. »Du hast keine Ahnung, was das für mein Leben bedeuten würde«, flehte ich leise.
»Nein, das habe ich nicht«, gab er bereitwillig zu und fügte wütend hinzu: »Aber du auch nicht. Du läufst herum und triffst diese gewaltigen Entscheidungen, was andere Menschen über ihr Leben wissen sollen und was nicht. Aber im Endeffekt hast du genauso wenig Ahnung wie ich, was daraus werden wird! Du tust einfach, was du für das Sicherste hältst, und dann schleichst du herum in der Hoffnung, dass es nie jemand herausfinden und am Ende dir noch die Schuld zuweisen wird!« Er wurde immer wütender, und plötzlich kam mir der Gedanke, dass es hier nicht nur um Nessel ging.
»Worüber bist du so wütend?«, fragte ich ihn offen. »Das hat nichts mit dir zu tun.«
»Nichts
mit mir zu tun? Nichts mit
mir
zu tun?« Er stand auf und warf dabei fast den Stuhl um. »Wie kann Nessel nichts mit mir zu tun haben? Haben wir nicht denselben Großvater? Ist sie keine geborene Weitseher und verfügt über die >Gabenmagie Weißt du...?« Er schluckte und riss sich dann wieder zusammen. In ruhigerem Tonfall fragte er: »Ahnst du denn nicht, was es für mich bedeutet hätte, mit einer Gleichgestellten aufzuwachsen? Jemandem von meinem eigenen Blut, nur wenig älter als ich, mit dem ich hätte reden können? Jemand, der mir einen Teil der Last der Regentschaft hätte abnehmen können, sodass sie nicht ganz so schwer auf meinen Schultern liegt?« Er wandte den Blick ab und starrte auf die Wand, als könne er durch sie hindurch sehen. Dann stieß er ein seltsames Schnaufen aus. »Sie könnte jetzt an meiner Statt in dieser Kabine
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