Die 2ten Chroniken von Fitz dem Weitseher 03 - Der weisse Prophet
fragen«, sagte er leise, »aber ich will dir meine Hilfe anbieten. Ich werde tun, was immer ich kann, um dir die Last zu erleichtern, die du tragen musst.«
»Danke, aber du hast sie mir schon erheblich erleichtert. Ich weiß, dass ich in den vergangenen Tagen viel zu ungeduldig mit Flink gewesen bin, und dass du ihm beim Lernen geholfen hast. Und ich weiß auch, dass du Dick besucht hast, sodass ihm nicht langweilig geworden ist. Mehr kannst du im Augenblick nicht für mich tun. Danke.«
»Nun gut«, sagte er reumütig, klopfte mir auf die Schulter und ging.
Unser Aufenthalt in Zylig zog sich schier unendlich hin. Die Nächte verbrachten wir im Haus der Eber, und ich blieb auch meist tagsüber dort. Dick litt noch immer unter Husten, doch ich glaube nicht, dass er so krank war, wie er vorgab zu sein. So langweilig es für mich auch war, in der Nähe seines Krankenzimmers zu bleiben, ich hielt es noch immer für das Beste, denn die beiden Male, die ich ihn dazu überredete hinauszugehen, bedachte man ihn nicht gerade mit freundlichen Blicken. Dick war wie ein verkrüppeltes Küken in einer Schar gesunder Vögel; die kleinste Kleinigkeit hätte für die anderen ausgereicht, ihn in Stücke zu reißen. Zwar war er mir nicht gerade freundlich gesonnen, doch mir war nicht wohl bei dem Gedanken, ihn alleine zu lassen. Und obwohl er mich nie bat, bei ihm zu bleiben, fand er stets eine Entschuldigung, mir entweder zu folgen, wann immer ich den Raum verließ, oder wenige Minuten später nach mir zu rufen.
Als Web auf Chades Vorschlag hin, ein wenig Zeit mit Dick zu verbringen, zum ersten Mal kam, glaubte ich noch, der alte Assassine habe das absichtlich getan, um uns zusammenzuführen; doch dann rief Chade mich eines Abends zu sich und schickte mich als Outislander verkleidet in den Abend hinaus, bis hin zu der Eulentätowierung auf der Wange. Mit Farbe und Teer malte er mir eine Narbe auf die Unterlippe, um meine Wortkargheit und meine gutturale Aussprache zu erklären. Schließlich gab er mir noch genug Outislander-Geld, um den ganzen Abend in einer ihrer überhitzten Tavernen trinken und essen zu können. Auch an den folgenden Abenden sandte er mich solcherart hinaus, jedes Mal als Händler eines anderen Clans verkleidet. Zylig war eine der größten Handelsstädte der Inseln; hier kümmerte sich niemand um ein fremdes Gesicht in einer überfüllten Taverne. Meine Aufgabe war es, einfach nur dazusitzen und den Gerüchten zu lauschen. Unsere Verhandlungen mit dem Hetgurd hatten das Interesse aller möglichen Leute geweckt. Die Outislander-Barden wurden gut bezahlt, um jedes Lied über Aslevjal und Eisfeuer zu singen, und viele Familiengeschichten wurden erzählt, um die Kumpane am Feuer zu beeindrucken. Ich hörte aufmerksam zu und suchte in Gerüchten und Legenden nach Gemeinsamkeiten, die auf einen wahren Kern schließen ließen.
Es war schon fast eine Generation her, seit zum letzten Mal jemand deutlich das Eis der Insel Aslevjal gesehen hatte. Männer erzählten Geschichten ihrer Väter von Besuchen auf der Insel. Einige hatten am Strand kampiert und waren dann den Gletscher hinaufgewandert, um einen Blick zu riskieren. Andere wiederum hatten die Insel während des jährlichen Niedrigwassers besucht, wenn das Wasser eine Höhle auf der Südseite freigab, die unter das Eis führte. Allen Berichten zufolge war dieser Kanal ausgesprochen tückisch, vor allem aufgrund der blauen Eiswände, in denen man sich leicht verirren und die Zeit und damit die Gezeiten aus dem Auge verlieren konnte. Die Unvorsichtigen gerieten dort leicht in die Falle, und Wasser und Eis gaben ihre Knochen nie wieder frei. Jene, die klug, stark und listig genug waren, führte der Eistunnel zu einer riesigen Höhle, wo man mit dem gefangenen Drachen sprechen und eine Gunst von ihm erbitten konnte. Einige hatten Geschick als Jäger bekommen, andere Glück bei den Frauen, und wieder andere hatten Fruchtbarkeit für ihre Mütterhäuser gewonnen. So lauteten die Geschichten.
Alle sprachen auch davon, dass man eine Gabe für den Schwarzen Mann von Aslevjal hinterlassen müsse. Bei manchen klang es so, als handele es sich dabei um einen Eremiten, bei anderen, als sei er der Geisterwächter des Drachen. Alle stimmten jedoch darin überein, dass er gefährlich war, und dass es weise sei, ihn mit einem Geschenk zu besänftigen. Manche behaupteten, rohes Fleisch sei das beste Opfer; andere wiederum erklärten, man könne sich sein Wohlwollen mit
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