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Die 2ten Chroniken von Fitz dem Weitseher 04 - Der wahre Drache

Titel: Die 2ten Chroniken von Fitz dem Weitseher 04 - Der wahre Drache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Hobb
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geradeso noch auffangen und verhindern, dass die frisch verheilten Wunden wieder aufrissen. Dennoch schrie er auf, als meine Arme sich um ihn schlossen. Ich spürte, wie er schauderte. Er drehte sich zu mir um, die Augen blind, und schrie Mitleid erregend: »Das ist zu viel! Du bist zu menschlich, Fitz. Ich bin nicht dafür geschaffen. Nimm es weg von mir, nimm es, oder ich werde daran sterben.«
    »Was soll ich dir nehmen?«, verlangte ich zu wissen.
    Atemlos antwortete er: »Deinen Schmerz. Dein Leben.«
    Ich war wie erstarrt, als er seinen Mund zu meinem schob.
    Ich glaube, er versuchte, sanft zu sein. Trotzdem war es mehr wie ein Schlangenbiss ein Kuss, als sein Mund sich um meinen schloss und das Gift des Schmerzes floss. Ich glaube, wenn seine Liebe nicht mit der Qual gemischt gewesen wäre, die er mir gab, ich wäre daran gestorben, Mensch hin oder her. Es war ein brennender, beißender Kuss, ein Strom der Erinnerungen. Und nachdem es erst einmal begonnen hatte, konnte ich mich dem nicht mehr verweigern. Kein Mensch sollte in der Reife seines Alters noch einmal all die Leidenschaft erfahren, zu der ein Jüngling in der Lage ist. Unsere Herzen werden mit dem Alter immer zerbrechlicher. Meines zerbarst fast ob dieses Ansturms.
    Es war ein Sturm der Gefühle. Ich hatte meine Mutter nicht vergessen, nie. Ich hatte sie nur in einen abgelegenen Teil meines Herzens verbannt und mich geweigert, die Tür dorthin zu öffnen. Doch sie war dort mit ihrem langen, nach Ringelblumen riechenden goldenen Haar. Und ich erinnerte mich auch an meine Großmutter, die ebenfalls aus den Bergen stammte. Mein Großvater war nur ein einfacher Gardist gewesen, der während seiner Stationierung in Mondauge die Sitten des Bergvolks angenommen hatte. All das wusste ich in einem einzigen Augenblick, und ich erinnerte mich daran, wie meine Mutter mich von der Weide gerufen hatte, wo ich schon im Alter von fünf Jahren die Schafe hüten musste. »Keppet! Keppet!«, hörte ich ihre klare Stimme, und ich rannte barfuß über das nasse Gras zu ihr.
    Und Molly ... wie hatte ich ihren Geruch und ihren Geschmack nach Honig und Kräutern nur verbannen können und ihr glockengleiches Lachen, als ich ihr über den Strand nachgerannt war, während ihr roter Rock wild um ihre Beine flatterte, oder das Gefühl ihres Haars in meiner Hand? Ihre Augen waren dunkel, doch sie leuchteten wie Kerzen, als ich auf sie hinunterblickte, während wir uns in ihrem Dienstbotenzimmer in den oberen Stockwerken der Bocksburg liebten. Ich hatte geglaubt, dass dieses Licht auf immer nur mir gehören würde.
    Und Burrich. Er war mir auf jede ihm mögliche Art Vater und dann Freund gewesen, als ich groß genug war, um an seiner Seite zu stehen. Ein Teil von mir verstand, wie er sich in Molly hatte verlieben können, als er geglaubt hatte, ich sei tot. Doch ein anderer Teil von mir war außer sich vor Wut darüber und jenseits aller Vernunft verletzt, weil er die Mutter meiner Tochter zum Weib genommen hatte. Aus Unwissenheit und Leidenschaft hatte er mir Frau und Kind gestohlen.
    Ein Schlag nach dem anderen regnete auf mich herab. Ich fühlte mich wie glühendes Eisen auf dem Amboss der Erinnerung. Ich vegetierte erneut in Edels Verlies dahin. Ich roch das verrottete Stroh auf dem Boden, spürte die Kälte der Steine an meinem zerschlagenen Mund und versuchte zu sterben, damit er mir nicht mehr wehtun konnte. Es war ein Echo der Schläge, die mir Jahre zuvor Galen verabreicht hatte, damals auf der Turmspitze, die wir den Königinnengarten genannt hatten. Er hatte mich körperlich und mit der Gabe angegriffen, und um die Aufgabe zu Ende zu führen, hatte er meine Magie verkrüppelt und mir eingeredet, ich hätte gar keine Fähigkeiten und täte besser daran, mich umzubringen, als eine Schande für meine Familie zu sein. Für immer hatte er mir die Erinnerung daran hinterlassen, wie es ist, wenn man kurz davor steht, sich das Leben zu nehmen.
    Es war neu. Alles widerfuhr mir noch einmal von vorn, peinigte meine Seele und ließ mich nackt im Sturm der Zeit stehen.
    Schließlich kehrte ich wieder in den Sommer zurück und spürte die nachlassende Kraft der Sonne. Die Schatten unter den Bäumen waren größer geworden. Ich lag auf dem Humus des Waldes, das Gesicht in den Händen vergraben, und hatte keine Tränen mehr. Der Narr saß neben mir und klopfte mir auf den Rücken wie einem Kleinkind, während er gleichzeitig ein dümmliches Lied in seiner alten Sprache sang. Langsam

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