Die 2ten Chroniken von Fitz dem Weitseher 04 - Der wahre Drache
verschwistern sollte, hätte man die Alte Macht so respektiert wie die Gabe, dann wäre alles in Ordnung gewesen.«
Burrichs Gesicht wurde dunkler, als ihm das Blut in die Wangen stieg, und kurz sah ich sein altes Temperament. Dann, mit einer Geduld, die nur die Zeit ihn gelehrt haben konnte, sagte er ruhig: »Fitz, das ist etwas, was man mich von dem Augenblick an gelehrt hat, da meine Großmutter den Makel in mir entdeckt hat. Die Alte Macht ist eine schändliche Magie, und es beschämt einen Menschen, sie zu praktizieren. Nun sprecht ihr offen über Menschen, die sie nutzen, und findet nichts Schändliches daran. Nun, ich habe auch von Orten gehört, wo Männer ihre Schwestern heiraten und Kinder mit ihnen haben, wo Frauen mit nacktem Busen über die Straße gehen und wo es als normal gilt, seine Frau zu verstoßen, nur weil sie nicht mehr jung ist. Aber würdest du deine Kinder lehren, dass solches Verhalten gut ist ? Oder würdest du sie lehren zu leben, wie du selbst es gelehrt worden bist?«
Ich erschrak, als Chade sich plötzlich zu Wort meldete. »Es gibt in jeder Gesellschaft unausgesprochene Regeln. Die meisten von uns stellen sie nie in Frage. Aber, Burrich, du musst dich doch irgendwann einmal gefragt haben,
was
man dich da gelehrt hat. Bist du nie auf den Gedanken gekommen, selbst zu entscheiden, ob diese Magie es wert ist?«
Burrich drehte sich zu Chade um und blickte ihn mit trüben Augen an. Was sah er? Eine Form, einen Schatten oder nur seine zwiehafte Wahrnehmung des alten Mannes?
»Ich habe immer gewusst, dass sie es wert ist, Lord Chade. Aber ich war erwachsen, und ich kannte den Preis, den man dafür zahlen muss. Euer Prinz dort draußen... Welchen Preis würde er zahlen müssen, sollte herauskommen, dass er über die Alte Macht verfügt? Ihr leugnet, dass er sie hat, um ihn vor Hass und Vorurteilen zu schützen. Wollt Ihr mir nun zum Vorwurf machen, dass ich versucht habe, Chivalrics Sohn auf die gleiche Art zu schützen?«
Chade blickte auf seine Arbeit hinunter und antwortete nicht darauf. Er war fertig. Sechs Behälter, von Flaschen bis hin zu Salzstreuern, waren mit Explosionspulver gefüllt und standen nun in Kesseln und Töpfen. »Ich bin bereit«, verkundete er, schaute mich an und lächelte seltsam. »Lasst uns gehen und den Drachen befreien.«
Ich konnte in seinen grünen Augen nichts lesen. Ich wusste nicht, ob er den Drachen wirklich aus dem Eis befreien oder ihn in Stücke sprengen wollte. Vielleicht wusste er es selbst noch nicht. Doch seine Entschlossenheit war ansteckend, und auch ich wollte das Ganze schlicht hinter mich bringen.
»Wie gefährlich ist das?«, erkundigte sich Burrich.
»Genauso gefährlich wie letzte Nacht«, antwortete Chade gereizt.
Burrich streckte die Hand aus und strich mit den Fingerspitzen über einen Kessel. »Nicht sechs Mal so gefährlich?«, fragte er. »Wie wollt ihr es machen? Soll ein Mann sie alle entzunden oder jeweils nur einen Topf?«
Chade dachte kurz darüber nach. »Sechs Männer, ein Mann pro Feuer. Und dann Fitz, der herumgeht und die Behälter in die Kessel steckt.«
Ich nickte. Das schien mir ein guter Plan zu sein. Wenn jeder der sechs selbst hätte entscheiden sollen, wann er das Pulver dazugab, würden sie sich vielleicht gegenseitig über den Haufen rennen. »Einverstanden«, erklärte ich.
Ich nahm drei Töpfe und Chade die anderen drei. Burrich brachte den Sack mit Zunder und einen kleineren Kessel mit Kohle vom Nachtfeuer der Wachen. Als wir den Hügel hinaufmarschierten, kam mir der Tag sehr hell vor. Für einen Ort wie diesen war es sehr warm, und die Sonne ließ das Eis funkeln. Während des Aufstiegs fragte mich Burrich: »Bist du sicher, dass Nessel jetzt in Sicherheit ist? Ich verstehe nicht, was für ein Risiko sie eingegangen ist, aber es schien euch allen eine Heidenangst eingejagt zu haben.«
Ich schluckte und gestand meine Schuld. »Ich habe sie gebeten, in den Traum des Drachen zu gehen und ihn zu wecken. Ihr stärkstes Gabentalent ist die Beeinflussung von Träumen. Ich habe nicht einen Moment innegehalten und daran gedacht, dass es gefährlich sein könnte, dass die Träume eines Drachen eine vollkommen andere Herausforderung darstellen als die eines Menschen.«
»Und sie ist trotzdem gegangen?« Stolz schwang in Burrichs Stimme mit.
»Ja, das ist sie. Weil ich sie darum gebeten habe. Ich schäme mich dafür, sie einer solchen Gefahr ausgesetzt zu haben.«
Burrich schwieg mehrere Schritte lang, dann
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