Die 39 Zeichen 04 - Der Schatz des Pharao
fragte, ging er mit einem und brachte einen hin. Außerdem war es viel zu heiß. Bald würde der Schnee die russischen Steppen bedecken, während es hier weit über 30 Grad hatte. Sie stellte den Deckenventilator auf die höchste Stufe.
Und dann hatte Irina auch noch diese Gören in ihrer Verantwortung: Ian und Natalie Kabra. Sie sollten eigentlich zusammenarbeiten, doch diese beiden Besserwisser versuchten ständig, sie zu hintergehen. Gerade waren sie in Kirgistan und gingen nicht an ihr Handy. Schließlich sah sie sich gezwungen, ihre Eltern anzurufen. Dabei hasste sie es, mit den Kabras zu sprechen. Sie verband eine gemeinsame Geschichte und Irina traute ihnen daher noch weniger als ihren Kindern.
Diese beiden Kinder. Genies, aber Dummköpfe.
Genau wie ihre Eltern.
Ihre Eltern … Irina schüttelte den Kopf und versuchte, die Erinnerung zu verscheuchen.
Sie dachte niemals über Dinge nach, die sich nicht mehr ändern ließen. Dinge, die in der Vergangenheit lagen. Doch plötzlich, hier in Kairo, ertappte sie sich dabei, wie sie über Grace Cahill nachdachte.
Es war Jahre her, dass die Lucians ein Treffen auf höchster Ebene anberaumt hatten, um das Problem zu diskutieren, das Grace Cahill darstellte. Sie wussten, dass Grace viele Hinweise gesammelt hatte. Sie schien ein besonderes Gespür dafür zu haben. Sogar die Lucians mussten das zugeben. Aber sie musste aufgehalten werden.
Es war Irina, die die Idee mit dem Bündnis aufgebracht hatte. Es war natürlich nur eine List. Aber es konnte eine Möglichkeit sein, näher an Grace heranzukommen und etwas herauszufinden. Irina hatte sich selbst als Doppelagentin angeboten. Als Käse in der Mausefalle.
Sie hatte sich mit Grace getroffen. Alleine und von Angesicht zu Angesicht. Die Unterhaltung hatte nicht lange gedauert. Es war deutlich geworden, dass Grace Irina nicht einen Moment lang getraut hatte.
Du versuchst, mich zum Narren zu halten, aber du bist es, Irina, die die Närrin ist , hatte Grace gesagt. Du bietest mir ein Bündnis an, aber nur als Vorwand. Es ist der Fluch der Lucians, dass sie denken, alles alleine schaffen zu können.
Wütend hatte Irina aufgegeben. Niemand hatte sie eine Närrin zu nennen. Niemand.
So wurden die Gespräche über das Problem Grace Cahill wieder aufgenommen. Pläne wurden diskutiert und verworfen. Was als Ouvertüre zu neuen Plänen diente. Es wurden unsichere Bündnisse geschlossen, um ein gemeinsames Problem anzugehen. Nur zu ihrer aller Besten. Zwar hatte man dem Plan zugestimmt, aber es war alles schiefgegangen. Furchtbar schief. Grace’ Tochter und ihr Schwiegersohn hatten ihr Leben in jenem Feuer verloren.
Sie würde den Tag des Begräbnisses niemals vergessen. Irina wusste, dass sie eigentlich kein Recht hatte, dort zu sein, und doch konnte sie ihm auch nicht fernbleiben. Sie war nicht gekommen, um sich an dem Unglück zu weiden, ganz egal, wie Grace darüber dachte. Grace’ Gesicht war weiß und reglos gewesen. Der Verlust ihrer geliebten Tochter, ihres geschätzten Schwiegersohns, die Tragödie, dass ihre Enkel zu Waisenkindern wurden, hatten sie um Jahre altern lassen. Sie bewegte sich wie eine Greisin und ihre Augen waren von grenzenlosem Schmerz gezeichnet. Ihre Hände zitterten, als sie Rosen auf die Särge warf, die in die Erde hinabgelassen wurden.
Irina wollte zu ihr sagen: Auch ich habe solchen Kummer kennengelernt.
Doch sie hatte es nicht getan.
Sie wollte sagen: Ich bin wie ein Geist durch die Straßen von Moskau gewandelt. Ich habe meine Seele verloren, ich habe mein Herz verloren .
Sie wollte sagen: Die anderen glauben, dass der Schmerz laut ist, Grace. Sie glauben, dass man weinen und schreien muss. Doch ich weiß, dass der Kummer leise und kalt ist wie Schnee.
Vor allem aber wollte sie sagen: Auch ich habe ein Kind verloren, Grace.
Doch sie sagte nichts von alldem. Ihre Erinnerungen gehörten ihr allein. Sie hatte sie versiegelt. Das einzige Andenken aus dieser Zeit war ein Auge, das zuckte, wenn sie unter emotionalem Stress stand.
Am Tag der Beerdigung hatte sie Grace die Schuld dafür gegeben, dass sie sie dazu gezwungen hatte, sich wieder ihren Erinnerungen zu stellen. Sie war rüde und kalt gewesen. Sie hatte zu Grace gesagt: »Das Schicksal kennt keine Skrupel. Solche Dinge geschehen.«
Solche Dinge geschehen , hatte sie zu einer Mutter gesagt, die gerade ihr Kind verloren hatte. Sie hatte den Widerhall ihrer eigenen Worte gehört und war über ihre Kälte schockiert gewesen. Sie
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