Die 39 Zeichen 08 - Die Entführung am Himalaya
denken.
»Wir haben es vermasselt, Nellie«, rief sie, während sie durch das mit Fliegendreck verschmutzte Fenster auf die Befestigungsanlagen der Chinesischen Mauer in der Ferne blickte. »Wir haben gewettet und verloren. Aus irgendeinem Grund hat Jonah den Ausflug zur Chinesischen Mauer abgeblasen. Oder wir waren am falschen Abschnitt. Jetzt könnte er überall sein. Vielleicht sind sie nicht einmal mehr in China. Es könnte ja sogar sein, dass wir auf dem völlig falschen Kontinent sind.«
Nellie saß an dem winzigen Tisch und beugte sich über Dans Laptop. »Hey, komm mal her und sieh dir das an.«
»Hast du was über Jonah gefunden?«, fragte Amy aufgeregt.
»Nein. Aber ich habe über deine Idee nachgedacht – dass Pu Yi etwas ausgetüftelt hat, was mit den Cahills zu tun hatte, als er aus der Verbotenen Stadt geworfen wurde. Und dass uns vielleicht etwas einfällt, wenn wir uns die weltgeschichtlichen Ereignisse um das Jahr 1924 herum genauer ansehen.«
»Ach, das ist mir doch egal«, stöhnte Amy. »Ich will nur Dan wiederhaben.«
Nellie sah sie scharf an. »Hey, kleines Mädchen, reiß dich zusammen. Die Zeichenjagd ist noch nicht vorbei, sie ist jetzt sogar doppelt wichtig. Denk dran, Jonah ist immer noch auf der Suche, deshalb können wir so am besten Dans Spur verfolgen. Also, ich habe eine Liste der wichtigsten Schlagzeilen Anfang der Zwanzigerjahre zusammengestellt. Schau mal, ob etwas dabei ist, das mit der Cahill-Welt zusammenhängen könnte.«
Niedergeschlagen setzte sich Amy neben Nellie. Natürlich hatte ihr Au-pair-Mädchen recht. Ohne eine Spur, die direkt zu Dan führte, konnten sie nur den Zeichen folgen, in der Hoffnung, dass ihr Bruder dasselbe tat.
Sie sah auf dem Bildschirm:
20 Tonnen schwerer Meteorit schlägt bei Blackstone, Virginia, ein.
Ägypten erlangt Unabhängigkeit.
US-Präsident Harding stirbt während seiner Amtszeit.
Baubeginn des Yankee-Stadions.
George Mallory und Andrew Irvine am Mount Everest verschollen.
Großes Kanto-Erdbeben verwüstet Japan.
Erste Hinrichtung in den USA mit Giftgas.
J. Edgar Hoover wird Chef des FBI.
Amy las die insgesamt drei Seiten lange Liste durch und lehnte sich mit einem Seufzer zurück. »Ich weiß nicht. Grace könnte über die Jahre das eine oder andere erwähnt haben, aber ich bin mir nicht sicher. Weißt du, sie ist zwar erst seit ein paar Monaten tot, aber ich habe schon Mühe, mich an den Klang ihrer Stimme zu erinnern.«
Saladin schmiegte sich an ihr Bein und schnurrte mitfühlend.
»Was sollen wir also tun?«, fragte sie besorgt.
Nellie zuckte die Schultern. »Wir machen bei der Chinesischen Mauer weiter, jetzt, wo wir schon mal hier sind. Wir können es genauso gut noch mal versuchen.«
Amy nickte. Sie hatten keine anderen Hinweise – auf Dan oder die Zeichen. Wenn sie erneut nichts fanden, hingen sie vollständig in der Luft.
Harte Punkrockklänge quäkten dünn und verzerrt aus dem Hörer.
»Hallo, hier ist Nellie. Wahrscheinlich bin ich unterwegs und probiere Gerichte aus, von denen du noch nie gehört hast. Oder ich höre mir Musik an, die dir die Ohren zerfetzen würde. Worauf wartest du also? Sprich mir eine Nachricht aufs Band.«
Der Piepston zerriss Dans Herz. Er sank gegen die Glaswand der Telefonzelle und klammerte sich an die unwirkliche Hoffnung, dass das Problem mit dem Mobiltelefon behoben worden war, der Anrufbeantworter also nur vorübergehend lief und sogleich die Stimme seines Au-pair-Mädchens zu hören sein würde.
»Ich bin es – Dan«, stammelte er. »Es tut mir leid, dass ich nicht früher angerufen habe. Ich dachte, Jonahs Vater hätte nach euch gesucht. Es ist eine lange Geschichte. Ich bin in – na ja, ich schätze, das tut nichts zur Sache, weil ich euch jetzt finden muss. Äh … bis später, hoffe ich.«
Er hängte auf, riss aber den Hörer gleich noch einmal von der Gabel und fügte hinzu: »Ich vermisse euch!« Doch da war es schon zu spät. Die Verbindung war unterbrochen.
Die Straßen in der Innenstadt von Xian waren verlassen gewesen, als Dan aus dem Bell Tower Hotel gestürmt war. Nun wimmelte es wieder vor Menschen, wie in Boston zur Hauptverkehrszeit. Händler verstopften die Gehwege, fremde Essensdüfte strömten aus den Läden, gerupfte Hühner hingen neben hypermodernen Handys in den Schaufenstern. Die Geräusche waren laut und unharmonisch. Fahrräder und Motorroller suchten sich ihren Weg zwischen Autos und Bussen hindurch.
Eigentlich hätte sich Dan allein in
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