Die 4 Frau
jedem mal passieren, nicht wahr?
»Was ist mit Ihrem Bein?«
»Machen Sie sich deswegen keine Sorgen.«
»Sind Sie ganz sicher...?«
Der Radfahrer nahm Sophie an die Leine und stellte sich vor. »Bob Hinton«, sagte er. »Wenn Sie mal einen guten Anwalt brauchen, hier ist meine Karte. Und es tut mir
wirklich
sehr Leid.«
»Lindsay Boxer«, sagte ich und nahm seine Karte. »Und ich brauche tatsächlich einen guten Anwalt. Irgend so ein Typ mit einem Rottweilerwelpen hat mich nämlich mit seinem Cannondale umgenietet.«
Der Typ lächelte nervös. »Ich habe Sie hier noch nie gesehen.«
»Meine Schwester Catherine wohnt dort drüben.« Ich deutete auf das hübsche blaue Haus. Und da wir denselben Weg hatten, trotteten wir alle vier zusammen den sandigen Fußweg entlang, der durch das Dünengras führte.
Ich erzählte Hinton, dass ich mich im Haus meiner Schwester ein paar Wochen von meinem Job beim SFPD erholte.
»Sie sind Polizistin, wie? Da sind Sie ja hier goldrichtig. Ich meine, bei den ganzen Morden, die sich hier ereignet haben.«
Mir wurde kalt und heiß zugleich. Meine Wangen glühten, aber innerlich gefror ich zu Eis. Ich
wollte
nicht an diese Morde denken. Ich war hier quasi auf Entzug. Ich wollte mich nur erholen. Und ich hatte ganz gewiss keine Lust, mich noch länger mit diesem allzu stürmischen Anwalt zu unterhalten, obwohl er eigentlich ganz nett zu sein schien.
»Hören Sie, ich muss jetzt gehen«, sagte ich. Ich zog Martha an der Leine zu mir heran und ging rasch weiter. »Machen Sie's gut«, warf ich ihm noch über die Schulter zu. »Und passen Sie in Zukunft ein bisschen besser auf, wo Sie hinfahren.«
Hastig stolperte ich die sandige Böschung zum Strand hinunter, in dem Bemühen, den Abstand zwischen mir und Bob Hinton möglichst schnell zu vergrößern.
Aus den Augen, aus dem Sinn.
30
Zum Schwimmen war das Wasser zu kalt, und so hockte ich mich einfach nur im Schneidersitz an den Saum der Brandung und starrte zum Horizont hinaus, wo die türkisfarbene Fläche der Bucht in den weiten blauen Pazifik überging.
Martha rannte an der geschwungenen Uferlinie auf und ab, dass der Sand hinter ihr nur so aufspritzte, und ich genoss die Wärme der Sonne auf meinem Gesicht, als sich urplötzlich ein harter Gegenstand in meinen Nacken bohrte.
Ich erstarrte. Ich wagte nicht einmal zu atmen.
»
Sie haben dieses Mädchen erschossen
«, sagte eine Stimme. »Das hätten Sie nicht tun dürfen.«
Zuerst erkannte ich die Stimme nicht. Meine Gedanken überschlugen sich, verzweifelt suchte ich nach einem Namen, nach einer Erklärung, nach den richtigen Worten in dieser Situation. Ich griff hinter mich, um die Waffe zu packen, und für einen Sekundenbruchteil sah ich sein Gesicht.
Ich sah den Hass in seinen Augen. Ich sah seine Angst.
»
Keine Bewegung
«, rief der Junge und drückte den Lauf der Pistole noch fester gegen meine Nackenwirbel. Der Schweiß troff mir aus allen Poren. »
Sie haben meine Schwester getötet. Sie haben Sie einfach so getötet, ohne jeden Grund!
«
Ich erinnerte mich an den leeren Ausdruck auf Sara Cabots Gesicht, als sie zusammengesackt war.
»Es tut mir so Leid«, sagte ich.
»Nein, es tut Ihnen nicht Leid, aber das wird es noch. Und wissen Sie was? Keinen kümmert's.«
Es heißt, dass man die Kugel, die einen tötet, nicht kommen hört, aber das muss eine Legende sein. Das ohrenbetäubende Krachen des Schusses, der sich durch mein Rückgrat bohrte, war wie die Explosion einer Bombe.
Ich sackte nach vorne, gelähmt, unfähig zu sprechen, unfähig, den Blutstrom zu stoppen, der in Stößen aus meiner Wunde strömte und sich mit dem kalten Wasser der Bucht mischte.
Aber wie hatte es dazu kommen können? Es gab einen
Grund
dafür, der mir nur gerade entfallen war. Irgendetwas, was ich hätte tun sollen.
Ihnen Handschellen anlegen. Das hätte ich tun sollen
.
Diese Gedanken gingen mir durch den Kopf, als ich die Augen aufschlug. Ich lag auf der Seite, die Fäuste voller Sand. Martha sah auf mich herab, und ich spürte ihren heißen Atem in meinem Gesicht.
Von wegen, keinen kümmert's
.
Ich setzte mich auf und schlang die Arme um sie, vergrub mein Gesicht im Fell ihres Halses.
Der Traum umrankte mich noch wie ein Netz aus Spinnweben. Ich brauchte keinen Doktortitel in Psychologie, um ihn zu deuten. Ich wühlte im Sumpf der Gewalt des vergangenen Monats.
Bis über beide Ohren steckte ich darin.
»Es ist alles in Ordnung«, versicherte ich Martha.
So weit war es mit
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