Die 4 Frau
machte mich mit »Onkel Chris« bekannt.
»Da waren so 'n paar neugierige Reporter hier«, sagte er. »Ich hab ihnen erzählt, Sie wären ausgezogen und kämen erst zurück, wenn wir das Haus wieder auf Vordermann gebracht haben. War das okay?«
»Perfekt. Genial.«
»Und Chief Stark war vor ein paar Minuten hier. Hat gesagt, Sie sollen ihn so bald wie möglich anrufen.«
Ich ignorierte die siebenundvierzig Nachrichten auf dem blinkenden Abrufbeantworter und rief von der Küche aus auf dem Revier an. Die Dienst habende Beamtin meldete sich.
»Der Chief ist gerade in einer Vernehmung«, sagte sie. »Kann er Sie zurückrufen?«
»Ich bitte sehr darum.«
»Ich kümmere mich drum, Lieutenant.«
Ich legte auf und ging ins Zimmer meiner Nichten.
Die Bettdecke lag noch auf dem Boden. Eine Fensterscheibe war zertrümmert, und einer der Süßkartoffeltriebe lag davor am Boden. Ich hatte mit dem Stuhl eine ordentliche Macke in die Kommode gehauen, und sämtliche Kuscheltiere im Zimmer schienen mich mit vorwurfsvollen Augen anzustarren.
Was, wenn die Kinder hier gewesen wären?
Was dann, Lindsay?
Ich zog den heil gebliebenen Stuhl vor die Pinnwand, setzte mich hin und starrte meine Aufzeichnungen zu den Morden an. Sofort fiel mein Blick auf das Detail, das mich am meisten beunruhigte.
Manchmal muss man erst mit der Nase auf die entscheidenden Dinge gestoßen werden, damit man sie endlich erkennt.
Jetzt hatte ich diesen Tunnelblick – und ich sah nur noch eines:
die Gucklöcher im Wandschrank der O'Malleys
.
Rasch zog ich mich um und ließ Martha zur Hintertür raus. »Spiel schön mit Penelope.«
Dann manövrierte ich den Explorer vorsichtig um den Lkw des Glasers herum auf die Straße.
Ich fuhr zurück in die Stadt.
117
Der Beobachter fuhr mit dem blauen Taurus auf dem Freeway 280 Richtung Norden, an Hillsborough vorbei. Er dachte über dieses und jenes nach, aber vor allem dachte er an Lindsay Boxer.
Wenn er an Lindsay dachte, dann tat er das mit gemischten Gefühlen. Auf eine merkwürdige, verquere Art und Weise war er stolz auf sie – darauf, dass sie sich nicht unterkriegen ließ, dass sie sich immer wieder berappelte wie ein Stehaufmännchen. Dass sie sich einfach weigerte, klein beizugeben, die Arena zu räumen, dorthin zurückzugehen, woher sie gekommen war.
Aber es war zu bedauerlich, dass sie es nicht lassen konnte, ihnen Knüppel zwischen die Beine zu werfen. Bedauerlich für sie.
Eigentlich wollten sie sie ja gar nicht töten. Eine Polizistin zu töten, und ganz besonders diese Polizistin, würde eine Großfahndung mit allen Schikanen nach sich ziehen. Das gesamte SFPD würde aus der Stadt ausschwärmen und an der Aufklärung des Mordes arbeiten. Womöglich auch das FBI.
Als das Schild für die Ausfahrt Trousdale Drive auftauchte, bremste der Beobachter ab und lenkte sein robustes kleines Auto vom Freeway hinunter. Anderthalb Meilen weiter bog er an dem gewaltigen Komplex des Peninsula Hospital rechts ab und dann wieder rechts auf den Camino Real in Richtung Süden.
Nachdem er zwei Blocks weit gefahren war, sah er eine Tankstelle und steuerte sie an. Er betrat den angeschlossenen Minimarkt, schlenderte ein paar Minuten lang umher und nahm sich ein paar Artikel aus den Regalen: eine Flasche Wasser, einen Energieriegel, eine Tageszeitung.
Er legte dem vollbusigen Mädchen an der Kasse vier Dollar zwanzig für seine Einkäufe und zwanzig Dollar für Benzin hin. Beim Hinausgehen las er die Schlagzeile auf Seite eins der Morgenzeitung:
UNBEKANNTE BESCHIESSEN HAUS
VON POLIZEIBEAMTIN
Über dem Artikel ein Foto von Lindsay in Uniform, dazu in der rechten Spalte ein Bericht über die Entwicklungen nach dem Cabot-Prozess. Sam Cabot war wegen Doppelmordes angeklagt worden. »Fortsetzung Seite 2.«
Der Beobachter faltete die Zeitung sorgfältig zusammen und legte sie auf den Beifahrersitz. Dann tankte er, startete den Wagen und fuhr nach Hause. Später würde er sich mit der Wahrheit unterhalten. Vielleicht würden sie Lindsay doch nicht auf die gleiche Art und Weise aus dem Weg räumen wie die anderen. Vielleicht würden sie lediglich dafür sorgen, dass sie verschwand.
118
Die Praxis des verstorbenen Dr. O'Malley befand sich in einem zweistöckigen Backsteinbau in der Kelly Street. Sein Name war auf einem Messingschild rechts neben der Eingangstür eingraviert.
Als ich auf den Klingelknopf drückte, war mir schon ein bisschen mulmig zumute. Ich wusste, dass der Chief mir den Kopf abreißen
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