Die 5 Plage
von der Notaufnahme.
Eine krankhaft dürre Frau mit nachgezogenen Augenbrauen und langen fuchsienroten Krallen stand vor Garzas Büro und bediente seelenruhig das Faxgerät auf ihrem Schreibtisch.
Ich gab mir alle Mühe, ruhig zu atmen und meine Nerven im Zaum zu halten, als ich ihr meine Marke zeigte und sagte, dass ich Dr. Garza zu sprechen wünschte.
»Dr. Garza war kurz hier, aber er ist noch mal weggegangen«, sagte sie und beäugte die Waffe in meinem Schulterholster. »Er ist wahrscheinlich zu Hause. Soll ich ihn anrufen?«
Ich reichte ihr die Papiere. »Ich habe einen Durchsuchungsbeschluss für sein Büro. Ich brauche seine Schlüssel.«
Die Frau sah mich von der Seite an, während sie Garzas Büro aufschloss und das flackernde Deckenlicht einschaltete. Sie ging zu einem Computertisch an der hinteren Wand und klappte den Deckel einer antik aussehenden Zigarettenkiste auf, die darauf stand.
Die Kiste war leer.
»Er bewahrt die Schlüssel zu seinen Aktenschränken immer hier drin auf«, sagte sie. »Aber sie sind weg. Das ist sehr merkwürdig.«
Ich bat den Wachmann, die Schlösser mit einem Stemmeisen aufzubrechen, und dann machte ich mich daran, die Bude systematisch auf den Kopf zu stellen.
Die Schränke enthielten Patientenakten und medizinische Fachzeitschriften, die noch in Folie eingeschweißt waren. Ich blätterte Hunderte von Krankenblättern, Diagrammen und Aktennotizen durch, auf der Suche nach dem einen Detail, bei dem mir ein Licht aufgehen würde, nach dem einen entscheidenden Hinweis.
Ich fand nichts.
Als Nächstes riss ich die oberste Schublade von Garzas Schreibtisch heraus. Stifte und Büroklammern regneten auf den Teppichboden herab. Ich kramte in dem Wirrwarr von Büromaterial in der Hoffnung, irgendwo Messingknöpfe zu finden, ein Schmuckstück oder ein Patientenarmband, irgendwelche Souvenirs oder Trophäen, die ein Serienmörder seinen Opfern abgenommen haben könnte.
Aber es war alles vollkommen harmlos.
Hinter der Tür hing eine Reisetasche am Haken.
Ich zog den Reißverschluss auf und schleuderte den Inhalt durch die Gegend: eine blaue Sportjacke, Größe 52, graue Hose, schwarzer Ledergürtel, zwei Hemden - eines pink, das andere blau, Unterwäsche, ein lederner Krawattenhalter. Ich entdeckte ein kleines schwarzes Köfferchen und zog den Reißverschluss auf - ein Blutzucker-Messgerät, Spritzen und Insulinampullen.
Garza war Diabetiker.
Sein Toilettenbeutel enthielt das Übliche - Zahnpasta, Rasierer, Mundwasser, ein paar Probepackungen von Schlafmitteln, ein Mittel gegen Sodbrennen, Pillen gegen Potenzstörungen.
Wieso die gepackte Reisetasche?
Frische Sachen für seinen Auftritt vor Gericht?
Oder verbrachte er ab und zu die Nacht bei seiner Freundin?
So oder so, das waren keine Beweise für einen Mord.
Ich wühlte gerade in den Ecken der Tasche und den Seitenfächern und stöhnte frustriert vor mich hin, als mein Handy klingelte.
»Ich bin unten im Schwestern-Umkleideraum«, sagte Jacobi. Ein Hustenanfall unterbrach ihn, doch dann sagte er die Worte, für die ich am liebsten meinen Erstgeborenen Warren genannt hätte.
»Komm mal schnell runter, Boxer. Ich habe jemanden unter Mordverdacht verhaftet.«
119
Eine Verhaftung wegen Mordverdachts? Ich hatte das Gefühl, dass unsere harte Arbeit und die Risiken, die wir eingegangen waren, sich nun endlich doch bezahlt machten. Aber wer war dieses Monster?
Eine Schar aufgeregter Schwestern und Helferinnen drängte sich an der hinteren Wand des Umkleideraums zusammen. Manche pochten lautstark auf ihre Bürgerrechte, andere verhöhnten die Cops, die mit Bolzenschneidern die Spinde aufbrachen, deren Besitzerinnen nicht auffindbar waren.
Mit seiner massigen Gestalt und seiner grimmigen Miene erinnerte Jacobi eher an einen Bodyguard als an einen Cop. Er stand hinter einer dunkelhäutigen Frau in einem blauen Schwesternkittel, die auf einer Bank zwischen zwei Reihen von Spinden saß. Ihre Hände waren hinter dem Rücken mit Handschellen gefesselt. Ich konnte mich nicht entsinnen, sie schon einmal gesehen zu haben.
Sie war Mitte vierzig, mit einem unscheinbaren, ovalen Gesicht und kurzen, geglätteten Haaren. Ein goldener Talisman in Form eines betenden Engels hing an einer Kette um ihren Hals.
Sie senkte den Kopf und wimmerte leise, als ich auf sie zuging. Wusste sie, wer ich war? War diese Frau unser Killer?
»Ich habe diese Dame gefragt, ob sie aufs Präsidium mitkommen würde, um uns ein paar Fragen zu
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