Die 5 Plage
beantworten, und da hat sie versucht, auszubüxen«, erklärte Jacobi.
Dann zeigte er mir eine kleine Plastikbox, die zur Hälfte mit Äskulapstab-Knöpfen gefüllt war. Ich nahm sie und starrte den funkelnden Haufen Messing an. Wie konnte etwas, was so harmlos aussah, einen so mörderischen Hintergrund haben?
Ich gestattete mir ein kleines, triumphierendes Lächeln, als ich Jacobis Blick auffing.
»Die standen im obersten Fach des Spinds dieser Dame, Lieutenant«, sagte er. »Ich habe Conklin und Samuels zurück ins Präsidium geschickt, um einen Durchsuchungsbeschluss für ihre Wohnung zu besorgen.«
»Wie heißen Sie?«, fragte ich die Frau.
»Marie St. Germaine.« Sie hatte einen leichten Akzent. Westindisch, dachte ich.
Das Namensschild, das an der Kette um ihren Hals hing, identifizierte sie als geprüfte Schwesternhelferin. Das bedeutete, dass ihre Arbeit sie von Station zu Station führte und ihr reichlich Gelegenheit gab, die Zimmer der Patienten zu betreten.
Und die Gelegenheit, ihnen Medikamente zu verabreichen.
Hatte diese Frau fast drei Dutzend Patienten auf dem Gewissen? Oder vielleicht noch mehr?
»Hat Inspector Jacobi Ihnen Ihre Rechte vorgelesen?«
»Ja, hab ich. Aber jetzt, wo du hier bist, mach ich’s gleich noch mal«, sagte Jacobi. Sein zerfurchtes Gesicht war nur wenige Zentimeter von ihrem entfernt.
»Sie haben das Recht, zu schweigen. Wenn Sie auf dieses Recht verzichten, kann alles, was Sie sagen, vor Gericht gegen Sie verwendet werden. Sie haben das Recht auf einen Anwalt. Wenn Sie sich keinen Anwalt leisten können, wird Ihnen einer zur Verfügung gestellt. Haben Sie Ihre Rechte verstanden?«
»Lassen Sie die Frau in Ruhe!«, rief jemand vom anderen Ende des Raumes. »Sie hat nichts getan. Lassen Sie sie laufen.«
Eine Gruppe von Schwestern begann zu skandieren: »Lasst sie laufen! Lasst sie laufen!«
»Das reicht!«, rief ich und schlug mit der Faust an eine Spindtür. Die Sprechgesänge ebbten zu einem leisen Grollen ab.
»Haben Sie Ihre Rechte verstanden?«, wiederholte Jacobi.
»Ja.«
»Warum sind Sie weggelaufen, Marie?«
»Ich hatte Angst.«
»Angst wovor?«
»Vor der Polizei.«
Ich dachte schon voraus. Die Staatsanwaltschaft war mit der stetig ansteigenden Zahl von Fällen derart überlastet, dass sie uns vermutlich sagen würde, wir sollten die Verdächtige laufen lassen, wenn wir nicht genug in der Hand hätten, um eine Verurteilung zu garantieren.
»Habt ihr außer diesen Knöpfen noch irgendwas gefunden?«, fragte ich Jacobi.
»Das da gehört alles ihr«, sagte er und deutete auf einen Haufen ärmlicher Kleidungsstücke und Toilettenartikel auf der Bank. Der gefährlichste Gegenstand in dem ganzen Haufen war vermutlich ein Danielle-Steel-Roman. Ich leerte St. Germaines Handtasche aus und fand ein speckiges Portemonnaie, ein Plastiktäschchen mit Schminksachen, einen lila Kamm, eine überfällige Telefonrechnung und eine weiche Wollpuppe von der Größe meines Daumens.
Die Puppe war primitiv aus schwarzem Garn und farbigen Plastikperlen gefertigt.
»Was ist das?«, fragte ich.
»Das ist bloß ein Glücksbringer.«
Ich seufzte und ließ die Puppe wieder in St. Germaines Handtasche fallen. »Sind Sie fertig, Ms. St. Germaine?«, fragte ich.
»Kann ich nach Hause?«
Während Jacobi und ich mit St. Germaine auf dem Rücksitz zum Präsidium fuhren, begann ich, über die kommenden achtundvierzig Stunden nachzudenken und fragte mich, was Claires Obduktion des kleinen Jamie Sweet wohl ergeben würde. Ich hoffte, dass die Täterin oder der Täter einen Fehler gemacht hatte, und ich fragte mich, ob irgendeine Verbindung zwischen St. Germaine und Dr. Garza bestand.
Aber vor allem hoffte ich auf ein Geständnis.
Mensch, endlich hatten wir auch mal Glück.
Wir hatten eine Verdächtige in Gewahrsam.
120
Cindys Sensationsstory über die MYSTERIÖSEN TODESMÜNZEN lag schon an den Kiosken aus, als wir Marie St. Germaine durch die Eingangstür des Präsidiums eskortierten. Der Chief hatte etwas, was er der Presse zum Fraß vorwerfen konnte, aber im Lauf des Tages beschlich mich mehr und mehr eine Art von Übelkeit, als ob ich mich unentwegt im Kreis drehte. Jacobi und ich hockten jetzt schon vier Stunden mit Marie St. Germaine im Vernehmungsraum. In dem Raum hinter dem Einwegspiegel drängten sich mehrere Beamte des Morddezernats, der Chief und der Staatsanwalt.
Für mindestens eine Stunde gesellte sich auch der Bürgermeister von San Francisco zu ihnen.
St.
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