Die 5 Plage
Germaine beugte sich zu mir herüber und sprach in vertraulichem Ton.
»Dann sollten Sie mir jetzt genau zuhören. Reden Sie mit der Ärztin, die für die Krankenhausapotheke zuständig ist. Dr. Engstrom. Mit der sollten Sie reden, nicht mit mir. Ich bin ein guter Mensch. Sie nicht.«
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Irgendwie schaffte Sonja Engstrom es, einen gewöhnlichen weißen Laborkittel wie Haute Couture aussehen zu lassen. Ihr kurzes platinblondes Haar war zurückgekämmt; an einer Platinkette, die sie um den Hals trug, hing ein einzelner tropfenförmiger Diamant; ihr Make-up, mit Glanzpuder und einem Hauch von roséfarbenem Lippenstift, war makellos.
Engstrom stand auf und reichte uns die Hand, als ich Jacobi und mich vorstellte.
Während wir gegenüber von ihrem Schreibtisch Platz nahmen, fiel mir auf, dass alle Papiere auf ihrem Schreibtisch zu sauber ausgerichteten Stapeln geordnet waren. Die Kugelschreiber und Bleistifte in der Emailleschale zeigten alle in dieselbe Richtung, und ihre Diplome waren in exakt gleichmäßigen Abständen an der Wand aufgehängt.
Nur die Art, wie ihre hellgrauen Augen nervös zwischen mir und Jacobi hin und her blickten, verriet mir, dass in ihrem Leben nicht alles so perfekt war wie ein frisch gemachtes Krankenhausbett.
Als ich mich zu Jacobi umdrehte, sah ich einen merkwürdigen Ausdruck über sein Gesicht huschen. Seine Mundwinkel zuckten, und er kniff die Augen zusammen.
Ich hatte schon so viele Jahre mit Jacobi zusammengearbeitet, dass ich sofort wusste, was dies bedeutete.
Er hatte sie wiedererkannt.
Dr. Engstrom hatte nichts bemerkt. Sie verschränkte die schlanken Hände unter dem Kinn und ergriff von sich aus das Wort.
Sie sagte uns, dass das Krankenhauspersonal nach dem gestrigen Urteil der Geschworenen in heller Aufregung sei, und auch sie selbst sei zutiefst erschüttert. »Niemand weiß, ob er seine Stelle behalten wird«, sagte sie. »Oder ob das Krankenhaus ganz schließen muss. Im Moment ist alles möglich.«
»Glauben Sie, dass man Sie entlassen wird?«, fragte ich sie.
»Darüber mache ich mir schon seit Jahren Gedanken. Diese unerklärlichen Todesfälle haben mich völlig zermürbt«, sagte sie und fuhr sich mit der Hand durch das seidig schimmernde Haar.
»Ich habe mich mit meinen Sorgen an Carl Whiteley gewandt. Mehr als einmal habe ich mit ihm gesprochen«, erzählte sie uns. »Ich habe sogar einen Bericht über die Zwischenfälle verfasst, die meiner Ansicht nach auf Medikationsfehler zurückgingen.
Aber Carl und unsere Rechtsabteilung haben mir versichert, dass meine Abteilung keine Schuld treffe. Er sagte, irgendjemand im Krankenhaus erlaube sich da einen schlechten Scherz, und früher oder später würde diese Person gefasst werden.
Ich war also zunächst einmal erleichtert. Ich weiß natürlich, dass unser Computersystem hundertprozentig sicher ist, sodass es unmöglich...«
Sie verstummte, und ihr Blick ging zum Fenster.
»Dr. Engstrom«, sagte Jacobi, »ich bin ein altmodischer Typ, was Sie mir sicher schon auf den ersten Blick angesehen haben. Mit Computern und diesem ganzen Zeug habe ich nicht viel am Hut.«
»Es ist sehr einfach, Inspector. Unser Computer ist so programmiert, dass er die entsprechenden Medikamente ausgibt, nachdem eine Diagnose in das System eingegeben wurde. Es ist unmöglich, ein falsches Medikament zu verschreiben, weil die Maschine das angeforderte Arzneimittel schlicht und einfach nicht ausgibt, wenn es nicht zur Diagnose passt.«
»Könnte das Programm nicht manipuliert werden?«, fragte Jacobi. »Ich meine, es haben doch sicher verschiedene Leute ein Passwort?«
»Alle meine Mitarbeiter können die schriftlich vorliegenden Diagnosen in den Computer eingeben, aber sie können keine Daten verändern. Das kann nur ich, und ich habe ein biometrisches Passwort.«
»Wie bitte?«, fragte Jacobi.
»Mein Passwort ist mein Fingerabdruck.«
»Aber kann ein Arzt nicht eine falsche Diagnose eingeben?«, fragte ich. »Das ist doch möglich, oder nicht?«
»Theoretisch wäre das durchaus möglich, aber in der Praxis kann es nicht vorkommen. Die Ärzte selbst sind die erste Kontrollinstanz. Meine Mitarbeiter sind die zweite. Der Computer ist mehrfach gegen Manipulationen gesichert. Und Sie machen sich keine Vorstellung davon, wie gründlich ich bin.
Von morgens bis abends vergleiche ich pausenlos Verschreibungen mit den dazugehörigen Krankenblättern und überprüfe alle Angaben doppelt und dreifach. Nicht nur meine eigene Arbeit, sondern
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