Die 50 Groessten Luegen Und Legenden Der Weltgeschichte

Ursachen zurückgeführt wird: mal auf die besonders effektive deutsche Vorgehensweise oder die Autorität einer bereitwillig assistierenden niederländischen Bürokratie. Andere legen dar, die niederländischen Juden hätten sich größenteils nicht einmal versteckt, weil sie ausgesprochen autoritätshörig gewesen seien. Außerdem hätten sie kaum Möglichkeiten gehabt zu fliehen, weil es zu wenige Fluchtmöglichkeiten ins Ausland gab, sie zu arm waren oder keinen Unterschlupf finden konnten. Zudem hätten die Niederländer überwiegend mit ihren Besatzern kooperiert. Einen schlagkräftigen niederländischen Widerstand gab es außerdem erst gegen Ende der Besatzungszeit, als die meisten Juden längst deportiert und ermordet worden waren.
    Alle diese Faktoren können in unterschiedlichen Anteilenals Erklärung herangezogen werden. Zum Beispiel stießen die deutschen Besatzer tatsächlich auf eine Bürokratie, die ihrer eigenen eher entsprach als die in Belgien oder Frankreich und die »Zusammenarbeit« erheblich erleichterte. Und der verbreitete Autoritätsglaube in den Niederlanden beförderte die Haltung, der Besatzungsmacht entgegenzukommen. Zumindest bis zur Niederlage der Wehrmacht vor Stalingrad war der Wille zur gefügigen Kooperation mit den scheinbar übermächtigen Deutschen verbreitet. Ebenso richtig ist, dass die von der Besatzungsmacht geschaffenen »Judenräte« mit ihren Mördern kooperierten. Zutreffend ist auch, dass die Flucht in entlegene Gegenden oder außer Landes in den Niederlanden erheblich schwieriger zu bewerkstelligen war als beispielsweise in Frankreich. Aber all das und weitere Aspekte konnten den Verdacht nicht entkräften, dass die Niederländer weniger als die Bevölkerung anderer besetzter Länder in Westeuropa taten, um dem Mord an ihren Mitbürgern entgegenzutreten.
    Antisemitismus gab es in den Niederlanden ebenso wie in anderen Ländern. Er war aber zum Beispiel im Unterschied zu Frankreich nur sehr schwach ausgeprägt und nicht einmal im rechten Politikspektrum sonderlich verbreitet. Antisemitisch ausgerichtete Rechtsradikale wurden erst durch die deutsche Besatzung zu einem maßgeblichen politischen Faktor, machten sich damit in der Bevölkerung aber überwiegend unbeliebt. Die niederländischen Juden waren gut integriert und etabliert, andererseits ermöglichte die besondere Struktur der niederländischen »Säulen«-Gesellschaft mit segmentierten Gesellschaftsgruppen, dass sie während der Besatzung besonders rasch in Isolation gerieten. Waren also die nichtjüdischen Niederländer wenn nicht ausgemachte Antisemiten, dann aber doch den Juden gegenüber gleichgültiger eingestellt als Franzosen oder Belgier?
    Sechzig Jahre nach dem Ende der Okkupationszeit ergabenstatistische Untersuchungen anhand bisher nicht verwendeter Dokumente, dass die Einschätzung der passiven Haltung der Niederländer – Juden und Nichtjuden gleichermaßen – korrigiert werden muss. Jetzt erst konnte nachgewiesen werden, dass sehr viel mehr Juden, die sich versteckt hatten, aufgespürt und in Vernichtungslager gebracht wurden. Das bedeutet aber auch, dass die Zahl der versteckten Juden und damit der Nichtjuden, die beim Untertauchen halfen, größer war als bislang angenommen. Tatsächlich lässt sich belegen, dass mehr Nichtjuden als bisher bekannt wegen »Judenbegünstigung« im Gefängnis oder im KZ saßen, auch wenn sich die exakten Zahlen nicht mehr rekonstruieren lassen. An der beklagenswert niedrigen Zahl der geretteten niederländischen Juden ändern die Ergebnisse zwar nichts, denn die Untersuchungen belegen ebenso, dass die Methoden der deutschen Sicherheitspolizei und ihrer niederländischen Helfer beim Aufspüren von Verstecken in den Niederlanden besonders effektiv waren. Aber es dient ebenso der Rehabilitierung der Rolle der nichtjüdischen Niederländer während der Besatzungszeit wie die Feststellung, dass bei Weitem nicht jeder aufgespürte Jude wie Anne Frank verraten worden war. Die Verfolgungsmethoden der Besatzer waren nämlich insbesondere in den Niederlanden höchst effizient und ihre Erfolge nicht allein auf skrupellose Niederländer angewiesen, die die ausgesetzten Kopfgeldprämien einstreichen wollten.
    Wie in anderen Ländern auch war nur eine Minderheit der Niederländer bereit, sich zur Rettung ihrer jüdischen Mitbürger selbst in Gefahr zu bringen. Aber trotzdem ist der Fall der Niederlande kein besonders unrühmliches Beispiel, wie so oft angenommen.

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