Die 500 (German Edition)
irgendeinem Grund instinktiv das Bedürfnis verspürt, mich zu verpissen, um nicht vom Pfad der Tugend abzukommen. Das spürte ich jetzt nicht. Irgendwie fühlte ich mich beschützt durch Henrys Ehrbarkeit, glaubte die zweifelhaften Methoden durch meine legitimen Ziele gedeckt. Ich hatte mich in diesen Club eingeschlichen, aber wenn ich meine Karten richtig ausspielte, dann könnte sich der Hausfriedensbruch als echte Eintrittskarte in diese Welt erweisen.
Aber vielleicht hatte ich es auch nur geschafft, mir irgendwas einzureden, schließlich saß ich in einem Mahagonispind fest und hatte fünf oder sechs Stunden Zeit zum Nachdenken gehabt.
Um 23 Uhr 30 glaubte ich, den Spind gefahrlos verlassen zu können. Das Sargent & Greenleaf zu knacken war aussichtslos, nicht ohne Flüssigstickstoff. Da ich im Keller eingesperrt war, hatte ich reichlich Zeit, über andere Strategien nachzudenken. Goulds Spind teilte die Rückwand mit einem anderen Spind, der leer war. Der Bauherr hatte mehr Wert auf Lack und Lamellen gelegt als auf Sicherheit. Es ging ganz einfach darum, sechsunddreißig Holzschrauben herauszudrehen, was leichter gesagt als getan ist, wenn sich nach ausgiebiger Suche herausstellt, dass die Arbeit mit der Spitze eines Schlüssels erledigt werden muss.
Fünf Stunden. Meine Fingerspitzen rot und geschwollen. Mit den Nerven am Ende, wenn ich das alte Gebäude knarzen hörte oder einen Lichtstreifen unter der Tür des Umkleideraums sah. Ich wusste, dass diese alten Weltenlenkerknacker Frühaufsteher waren. Bei Davies schlugen sie immer Frühstück um sechs vor (wisst schon, Jungs, nach dem Squash). Als draußen vor den Kellerfenstern das graue Blau die Dämmerung ankündigte, fing ich an zu schwitzen. Und als Klappern und Scheppern den Dienstantritt der Stewards ankündigte, beschleunigte sich meine Herzschlagfrequenz auf die eines Kolibris. Um die Nagelhaut meiner Finger staute sich das Blut von der Fummelei. Ich konnte schon Stimmen von oben hören, als ich die letzte Schraube herausriss und die Rückwand herunterklappte.
In Goulds Spind befanden sich ein Suspensorium und eine alte Squashtasche. In der Tasche befanden sich zwölf braune Tüten. Insgesamt hundertzwanzigtausend Dollar in ordentlichen Bündeln. Kein Wunder, dass ich ihn nicht hatte umstimmen können.
Kehre niemals an den Ort des Verbrechens zurück. Ein guter Rat. Unglücklicherweise hatte ich, nachdem ich mich aus dem Met Club hatte verdrücken können und an meinem Arbeitsplatz aufgetaucht war, keine Wahl.
Ich fragte Marcus, wo das Gould-Davies-Treffen statt finde.
»Im Metropolitan Club«, sagte er. Mir wurde übel.
»Zum Lunch?«
»Frühstück«, sagte er und warf einen Blick auf das Telefondisplay auf seinem Schreibtisch. »Ungefähr jetzt, würde ich sagen.«
Nach meiner langen Einbruchsnacht roch ich immer noch streng nach Angstschweiß, als ich unter den Augen des Secret Service die 17th Street und dann die H Street NW hinaufschlenderte. Von den Dächern der Hochhäuser rund ums Weiße Haus verfolgten Überwachungskameras meinen Weg. Ich sah den Polizeibeamten, der an der Rückseite des Metropolitan Clubs den Fensterriegel untersuchte, den ich bei meiner Flucht zwei Stunden zuvor aufgebrochen hatte. In der Lobby traf ich auf ein halbes Dutzend Polizisten und natürlich den Steward von gestern Abend.
Er bedachte mich mit einem nicht gerade freundlichen Blick. Ich sagte ihm, dass ich mit Henry Davies verabredet sei, und setzte mich in die Bibliothek. Ohne mich aus den Augen zu lassen, ging er gleich zu den Polizisten. Von meinem Platz aus konnte ich in den Speisesaal sehen, der die Größe eines Footballfeldes hatte. Es dauerte also etwas, bis ich Davies entdeckte, der gegenüber von Gould an einem Tisch saß und sich gerade Marmelade auf ein Croissant löffelte.
Was konnte ich tun? Mitten in den Saal hineinmarschieren, Gould öffentlich der Annahme von Schmiergeldern bezichtigen und dann den versammelten Würdenträgern, Davies und mehreren stiernackigen Vertretern der Metro Police höflich erläutern, dass ich zufällig auf meine Beweismittel gestoßen war, als ich den Burschen verfolgt hatte, und in diese heiligen Hallen ein- und wieder ausgebrochen war? Am meisten Sorgen machte ich mir wegen Davies. Er hatte mir Ehrbarkeit angeboten, und ich vergalt es ihm mit Verbrechen. Wieder ein Hochstapler. Es lag mir im Blut. Jeder meiner Vorstöße, ein ehrliches Leben zu führen, war ein desaströser, umgehend korrigierter Irrtum
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