Die 6. Geisel - Thriller
eine Dienstmarke vor mich auf den Schreibtisch legte.
»Herzlichen Glückwunsch, Boxer, zu Ihrer wohlverdienten Degradierung zum Sergeant.«
24
Mir schwirrte der Kopf, so fassungslos war ich.
Ich hörte Tracchios Stimme, aber es war, als wäre sein Schreibtisch rückwärts durch die Wand katapultiert worden, und er spräche von der anderen Straßenseite aus zu mir.
»Sie werden mir fachlich unterstellt sein. Natürlich bleibt es bei Ihrer derzeitigen Gehaltsstufe …«
Innerlich schrie ich auf: Degradierung? Sie degradieren mich? Ausgerechnet heute?
Ich griff nach der Schreibtischkante, musste mich irgendwo festhalten. Tracchios Miene verriet mir, dass ihn meine Reaktion ebenso sprachlos machte wie mich seine Ankündigung.
»Was ist denn, Boxer? Ist das nicht genau das, was Sie wollten? Seit Monaten liegen Sie mir in den Ohren …«
»Nein - ich meine, ja. Ich habe Ihnen in den Ohren gelegen. Aber ich habe nicht damit gerechnet…«
»Ich bitte Sie, Boxer. Was wollen Sie denn eigentlich? Ich habe den ganzen Abend damit zugebracht, die Sache mit sämtlichen betroffenen Stellen zu klären, weil Sie gesagt haben, dass Sie genau das wollen.«
Ich machte den Mund auf und wieder zu. »Geben Sie mir ein bisschen Zeit, es zu begreifen, okay, Tony?«, stammelte ich.
»Ich geb’s auf«, stöhnte Tracchio. Er schnappte sich seinen Hefter und knallte ihn auf den Tisch. »Ich verstehe Sie nicht. Ich werde Sie nie verstehen. Ich geb’s auf, Boxer.«
Ich kann mich nicht erinnern, wie ich das Büro des Chiefs verlassen habe, aber ich erinnere mich noch gut an den langen Weg zur Treppe, an das gequälte Lächeln auf meinen Lippen, als ich die Glückwünsche der Kollegen entgegennahm, an deren Schreibtischen ich vorbeikam.
Meine Gedanken drehten sich im Kreis.
Was zum Teufel hatte ich mir bloß dabei gedacht?
Und was wollte ich eigentlich?
Ich fand schließlich das Treppenhaus und musste mich auf das Geländer stützen, als ich die Stufen zum Büro des Morddezernats hinunterstieg. Da kam mir plötzlich Jacobi entgegen.
» Warren , du glaubst nicht, was mir gerade passiert ist.«
»Komm, wir verschwinden hier«, entgegnete er.
Wir gingen die Treppe hinunter ins Erdgeschoss und hinaus auf die Bryant, wo wir den Weg zum Flower Mart einschlugen.
»Tracchio hat mich gestern Abend angerufen«, sagte Jacobi im Gehen. Ich sah ihn von der Seite an. Jacobi und ich hatten noch nie irgendwelche Geheimnisse voreinander gehabt, aber als ich seine gequälte Miene sah, gab es mir einen Stich.
»Er hat mir den Job angeboten, Lindsay. Deinen Job. Aber ich habe ihm gesagt, dass ich es nie machen würde, wenn es für dich nicht okay wäre.«
Das Grollen unter meinen Füßen kam sicherlich von der Caltrain-Bahn, die gerade in den Bahnhof einfuhr, aber mir kam es vor wie ein Erdbeben.
Ich wusste, was ich hätte erwidern sollen: Herzlichen Glückwunsch. Großartige Wahl. Du wirst das ganz toll machen, Jacobi.
Aber ich brachte die Worte nicht über die Lippen.
»Ich brauche ein bisschen Zeit zum Nachdenken, Jacobi. Ich nehme mir einen Tag frei«, sprudelte ich hervor.
»Sicher, Lindsay. Niemand wird irgendetwas unternehmen, solange du nicht …«
»Vielleicht zwei Tage.«
»Lindsay, bleib! Wir müssen reden!«
Aber ich war schon weg.
Achtlos überquerte ich die Straße. Ich holte meinen Wagen vom Parkplatz, fuhr die Bryant hinunter zur 6th Street und weiter auf die 280 in Richtung Süden, nach Potrero Hill.
Ich riss mein Handy vom Gürtel und drückte im Fahren die Autodial-Taste für Joes Handy. Ich hörte den Rufton, während ich das Gaspedal meines Explorers durchdrückte und auf die Überholspur wechselte.
In Washington war es ein Uhr mittags.
Geh ran, Joe!
Der Anruf ging auf die Mailbox, also hinterließ ich ihm eine Nachricht. » Ruf mich zurück. Bitte.«
Dann rief ich im San Francisco General an.
25
Ich hatte gehofft, Claires Stimme zu hören, doch Edmund nahm den Anruf entgegen.
Er hörte sich an, als hätte er wieder die ganze Nacht auf einem Stuhl an ihrem Bett verbracht.
»Wie geht es ihr?«, fragte ich mit einem dicken Kloß im Hals.
»Sie musste noch mal zum Kernspin«, antwortete er.
»Sag Claire, dass wir den Täter haben. Er hat gestanden, und wir haben ihn hinter Schloss und Riegel.«
Ich versprach Edmund, dass ich später noch bei Claire vorbeischauen würde, und probierte es dann wieder bei Joe. Diesmal bekam ich den Anrufbeantworter in seinem Büro, und so versuchte ich es bei ihm zu
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