Die 6. Geisel - Thriller
identisch mit dem der Tylers. Ich hatte mit der Haushälterin der Devines gesprochen, einer gewissen Guadalupe Perez, die uns in gebrochenem Englisch erklärt hatte, dass die Hausherren verreist seien.
Vor neun Tagen hatte ich mir nicht vorstellen können, dass Guadalupe Perez einen Umschlag aufgehoben haben könnte, der unter der Tür durchgeschoben worden war, um ihn zu dem Stapel mit der übrigen Post der Devines zu legen.
Niemand hatte das wissen können, aber ich war trotzdem todunglücklich und fühlte mich irgendwie verantwortlich.
»Wie gut kennen Sie die Devines?«, fragte Conklin Henry Tyler, der aufgebracht im Zimmer auf und ab ging. Überall hingen oder standen Bilder von Madeline - Babyfotos, Familienporträts, Urlaubsschnappschüsse.
»Sie waren es nicht, okay? Die Devines haben es nicht getan!«, rief Tyler. »Madison ist weg !«, brüllte er und fasste sich mit beiden Händen an den Kopf. »Es ist zu spät !«
Ich senkte den Blick wieder auf das Sideboard und die Blockbuchstaben auf schlichtem weißem Briefpapier, die ich noch aus anderthalb Metern Entfernung lesen konnte.
WIR HABEN IHRE TOCHTER.
WENN SIE DIE POLIZEI EINSCHALTEN, STIRBT SIE.
WENN WIR MERKEN, DASS SIE UNS AUF DEN FERSEN SIND, STIRBT SIE.
IM AUGENBLICK IST MADISON WOHLAUF UND IN SICHERHEIT, UND SO WIRD ES BLEIBEN, SOLANGE SIE STILLHALTEN.
DIES IST DAS ERSTE FOTO. SIE WERDEN JEDES JAHR EIN NEUES FOTO VON MADISON BEKOMMEN. VIELLEICHT BEKOMMEN SIE AUCH EINEN ANRUF. VIELLEICHT KANN SIE SOGAR IRGENDWANN NACH HAUSE.
SEIEN SIE KLUG. HALTEN SIE STILL.
EINES TAGES WIRD MADISON ES IHNEN DANKEN.
Das Foto von Madison, das der Nachricht beigefügt war, war binnen einer Stunde nach Madisons Entführung mit einem handelsüblichen Drucker ausgedruckt worden. Das Mädchen sah sauber aus und schien unverletzt; sie trug ihren blauen Mantel und die roten Schuhe.
»Konnte er wissen , dass wir die Nachricht nicht bekommen hatten? Konnte er wissen , dass wir nicht die Absicht hatten, uns über seine Anweisungen hinwegzusetzen?«
»Ich weiß es einfach nicht, Mr. Tyler, und ich kann auch nicht darüber spekulieren …«
Elizabeth Tyler schnitt mir das Wort ab. Die Sehnen an ihrem Hals traten hervor, als sie mit gepresster Stimme hervorstieß: »Madison ist das klügste, fröhlichste kleine Mädchen, das man sich vorstellen kann. Sie singt. Sie spielt Klavier. Sie hat ein ganz bezauberndes Lachen.
Ist sie vergewaltigt worden? Ist sie in irgendeinem Keller an ein Bett gekettet? Ist sie hungrig, friert sie? Ist sie verletzt? Hat sie Angst? Ruft sie nach uns? Fragt sie sich, warum wir
sie nicht holen kommen? Oder kann das alles ihr nichts mehr anhaben, weil Gott sie schon zu sich genommen hat?
Das ist alles, woran wir denken können, Officers.
Wir müssen wissen, was mit unserer Tochter passiert ist. Sie müssen mehr tun, als Sie je für möglich gehalten hätten«, beschwor Elizabeth Tyler mich. »Sie müssen uns Madison zurückbringen.«
97
Eine Plastikhülle mit der Botschaft der Entführer lag so auf meinem Schreibtisch, dass Conklin und ich sie beide lesen konnten.
WENN SIE DIE POLIZEI EINSCHALTEN, STIRBT SIE.
WENN WIR MERKEN, DASS SIE UNS AUF DEN FERSEN SIND, STIRBT SIE.
Wir waren immer noch erschüttert von diesen Worten, wurden das scheußliche Gefühl nicht los, dass wir durch unsere Ermittlungen im Fall Ricci-Tyler Madisons Tod erst herbeigeführt hatten.
Als Dave Stanford gegen Mittag eintraf, übergaben wir die Botschaft der Kidnapper dem FBI. Jacobi bestellte Pizza für alle, dann holte Conklin einen Stuhl für Stanford, und wir gewährten ihm Einblick in unsere Akten.
Eine Stunde später hatten wir immer noch nicht mehr als diese eine heiße Spur: Die Whittens in Boston und die Tylers in Pacific Heights waren beide Kunden der Westwood-Agentur.
Wir teilten die Namen der Kunden, die Mary Jordan aus dem Register kopiert hatte, unter uns auf und hängten uns ans Telefon. Der Pizzakarton war leer, als wir sie alle durchhatten und uns auf den Weg machten.
Conklin und Macklin fuhren bei Stanford mit. Und Jacobi und ich bildeten das zweite Team - nach langer Zeit wieder mal Partner für einen Tag.
Es war ein gutes Gefühl, Jacobis zerknautschtes Gesicht und seine etwas fülliger gewordene Gestalt neben mir auf dem Fahrersitz zu sehen.
»Entschuldige die Bemerkung, aber du siehst aus, als hätten sie dich kielgeholt«, sagte er.
»Dieser gottverdammte Fall macht mich noch krank . Aber da du es schon ansprichst, Jacobi - ich
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