Die 7 Geheimnisse Der Schildkroete
beigebracht, wie wichtig es ist, sich anzustrengen und zu kämpfen, um die Kontrolle zu bewahren. Dabei ist es eigentlich völlig unmöglich, alles im Griff zu haben. Selbst so persönliche Dinge wie den Zeitpunkt unserer Geburt oder unseres Todes können wir nicht kontrollieren – wie viel weniger erst äußere Ereignisse oder andere Menschen!
Damit wir Vertrauen in das Leben entwickeln können, ist es hilfreich, »sich zurückzulehnen«. Auch wenn man sich in der Meditation für gewöhnlich nicht anlehnt, so entspricht es doch durchaus der meditativen Geisteshaltung, sich zurückzulehnen und die Dinge einfach auf sich zukommen zu lassen.
Das Pferd laufen lassen, ohne ständig die Zügel in die Hand nehmen zu wollen – das ist einfacher gesagt als getan. Dennoch kann man diese Einstellung in vielen kleinen Dingen üben, so beispielsweise auf Reisen: Wenn wir eine neue Stadt in einem fremden Land erkunden wollen, tun wir das meist »aktiv« – etwa indem wir durch die Altstadt laufen, einige Sehenswürdigkeiten abhaken und dabei den Stadtplan studieren. Und doch ist das nur eine Möglichkeit, einen Ort kennen zu lernen. Die andere besteht darin, sich in ein Straßencafé zu setzen, in aller Ruhe einen Cappuccino zu trinken und dann einfach zu beobachten, wie sich die Stadt »anfühlt«: Was für Menschen leben hier? Wie ist die Atmosphäre? Was kann ich um mich herum wahrnehmen? Welchen Eindruck macht beispielsweise der Kirchturm hinter der Häuserzeile auf mich? Und was für Geräusche kann ich hören – wie hört sich die fremde Sprache an, die von den Nebentischen her an mein Ohr dringt?
Damit wir die Welt durch meditative Augen betrachten können, ist es wichtig, die Perspektive zu ändern. Statt immer Akteur zu sein, sollten wir uns einfach darauf einlassen, Zuschauer zu werden. Statt mittendrin »festzustecken«, gewinnen wir so mehr Abstand und Freiheit – ohne dabei zu übersehen, was um uns herum geschieht. So lernen wir, uns zurückzulehnen und »die Welt aus der Hand zu geben«. Diese Fähigkeit ist spätestens dann Gold wert, wenn wir es mit kritischen Situationen oder gar handfesten Krisen zu tun haben. Gerade dann ist es wichtig, die Kontrolle aufzugeben und sein Urvertrauen wiederzuentdecken.
Obwohl es heftig regnete, war Kurma auf dem Weg zur grünen Wiese, als sie am Eselstall vorbeikam. Im vom Regen durchnässten Stroh lag Sindhu, der Esel, und weinte gar bitterlich. »Warum weinst du?«, fragte Kurma. »Ich weine um Yala, mein liebes Töchterlein. Als ich sie heute wecken wollte, war sie nirgends zu finden. Jetzt denke ich, dass der Wolf sie gefressen hat. Vielleicht hat sie sich aber auch verlaufen oder ist in die tiefe Schlucht gefallen, von wo aus es kein Entrinnen gibt.« Kurma schwieg eine Weile, dann sprach sie: »Sindhu, deine Vorstellungskraft ist freilich bewundernswert, ein ruhiger Geist wäre aber noch bewundernswerter und vor allem hilfreicher.« Empört erwiderte Sindhu: »Aber Meisterin – meine Tochter ist spurlos verschwunden! Soll ich mir da etwa keine Sorgen machen?« Darauf meinte Kurma: »Was nützt dir deine Sorge? Und was nützt sie Yala? Angenommen, der Wolf hätte sie gefressen, könntest du das dann noch ändern? Hat er sie aber nicht gefressen, sorgst du dich erst recht umsonst.« Sindhu wurde nachdenklich. Schließlich fragte er: »Aber was soll ich denn tun?« Kurma erwiderte: »Ziehe dich ganz in dich selbst zurück und lass dein Denken zur Ruhe kommen. Bleibe ganz bei deinem Atem und lass dein Gemüt zur Ruhe kommen. Nimm deine Sorgen wie Strohfeuer – kurze Flammen, die schnell erlöschen: kein Grund, sich hineinzuvertiefen.« Nachdem Kurma dies gesprochen hatte, sah der Esel sie erleichtert an und dankte seiner Meisterin.
Am folgenden Morgen traf Kurma Sindhu mit seiner kleinen Yala. Kurma lachte und sprach: »Wie ich sehe, hat der Wolf dein Töchterlein wieder ausgespuckt …« »Aber nein – nicht doch«, meinte darauf Sindhu. Yala ist schon vor Sonnenaufgang aufgestanden, und stell dir vor: Sie hat den steilen Berg der Himmlischen Freude ganz allein bezwungen. Das war es, was sie mir beweisen wollte.« Kurma sah dem großen und kleinen Esel noch lange nach und lächelte zufrieden.
Oft ist Geduld die einzige Fähigkeit, die wir wirklich bräuchten, um schwierige Situationen zu meistern. Statt sich in Sorgen und Grübelei über Dinge, die ohnehin niemand ändern kann, zu verstricken, ist es meist besser, einfach abzuwarten. Ein Wirbelwind
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