Die Abenteuer des braven Soldaten Schwejk
er den bärtigen Riesen Baloun antraf, der damit beschäftigt war, in einem Töpfchen auf dem Spirituskocher Oberleutnant Lukaschs Salami zu braten.
|451| »Ich erlaube mir«, stotterte Baloun, »erlaube mir, melde gehorsamst …«
Lukasch blickte ihn an. In diesem Augenblick erschien ihm Baloun wie ein großes Kind, ein naives Geschöpf, und Oberleutnant Lukasch tat es plötzlich leid, daß er ihn seines großen Hungers halber hatte anbinden lassen.
»Koch dir nur, Baloun«, sagte er, den Säbel abknöpfend, »morgen laß ich dir noch eine Portion Brot zuschreiben.«
Oberleutnant Lukasch setzte sich an den Tisch und war so melancholisch gestimmt, daß er anfing, seiner Tante einen sentimentalen Brief zu schreiben:
Liebe Tante!
Soeben habe ich den Befehl erhalten, mich mit meiner Marschkompanie zur Abfahrt an die Front bereit zu halten. Es kann sein, daß dieses Schreiben das letzte ist, das du von mir erhältst, denn es wird überall hart gekämpft, und unsere Verluste sind groß. Deshalb fällt es mir schwer, diesen Brief mit den Worten zu schließen: ›Auf Wiedersehen!‹ Es wäre passender, Dir ein letztes Lebewohl zu schicken.
Das Weitere werde ich erst früh zu Ende schreiben, dachte Oberleutnant Lukasch und ging zu Bett.
Als Baloun sah, daß der Oberleutnant fest eingeschlafen war, fing er abermals an, in der Wohnung zu wirtschaften und zu schnüffeln wie Schaben in der Nacht. Er öffnete den Koffer des Oberleutnants und biß eine Tafel Schokolade an, erschrak aber, als der Oberleutnant im Schlaf zusammenzuckte. Er legte schnell die angebissene Schokolade in den Koffer und verhielt sich still.
Dann schaute er leise nach, was der Oberleutnant geschrieben hatte.
Er las und war gerührt, insbesondere durch das »letzte Lebewohl«.
Er legte sich auf seinen Strohsack bei der Tür und dachte an daheim und an die Schlachtfeste.
Er konnte sich nicht von der Vorstellung befreien, daß er |452| eine Preßwurst durchsteche, damit er die Luft aus ihr herausbekomme, weil sie sonst beim Kochen platzen könne.
Und bei der Erinnerung daran, wie beim Nachbarn einmal eine ganze Speckwurst geplatzt und zerkocht war, fiel er in einen unruhigen Schlaf.
Ihm träumte, daß er irgendeinen Schlemihl von einem Metzger eingeladen hatte und daß diesem beim Füllen der Leberwürste die Leberwurstdärme platzten. Dann wieder, daß der Metzger vergessen hatte, Blutwürste zu machen, daß das Wellfleisch verlorengegangen war und nicht genug Spiele für die Leberwürste vorhanden waren. Dann träumte ihm etwas vom Feldgericht, denn man hatte ihn erwischt, als er aus der Feldküche ein Stück Fleisch gezogen hatte. Zum Schluß sah er sich selbst, wie er an einer Linde in der Allee des Militärlagers in Brück an der Leitha hing.
Als Schwejk mit dem anbrechenden Morgen, der mit dem Geruch gekochter Kaffeekonserven aus allen Kompanieküchen in das Zimmer drang, erwachte, hängte er mechanisch, als hätte er gerade ein Telefongespräch beendet, den Hörer auf und unternahm in der Kanzlei einen kleinen Morgenspaziergang, wobei er sang.
Er fing sofort mitten im Text des Liedes an: Ein Soldat verkleidet sich als Mädel und geht seiner Liebsten in die Mühle nach, wo ihn der Müller zu der Tochter legt, nachdem er vorher der Müllerin zugerufen hat:
Gebt, Gevatterin, zu essen,
das Mädchen hat noch nicht gegessen.
Die Müllerin füttert den nichtswürdigen Kerl. Und dann folgt die Familientragödie:
Müllers wachten auf um sieben,
auf der Türe stand geschrieben:
Eure Tochter, liebe Leute,
ist nicht Jungfrau mehr ab heute.
|453| Schwejk legte in den Schluß des Liedes so viel Stimme, daß die Kanzlei sich neu belebte, denn Rechnungsfeldwebel Wanĕk erwachte und fragte, wie spät es sei.
»Grad vor einer Weile hat man geblasen.«
»Da steh ich erst nachm Kaffee auf«, entschloß sich Wanĕk, der immer zu allem genug Zeit hatte, »ohnedies wern sie uns heut wieder mit Eile sekkieren und unnütz herumhetzen, wie gestern mit den Konserven …« Wanĕk gähnte und fragte, ob er, wie er nach Hause gekommen war, noch lange geredet habe.
»Nur so bißl unverständliches Zeug«, sagte Schwejk, »immer fort ham Sie was aus sich herausgestoßen von Gestalten, daß eine Gestalt keine Gestalt is, und was keine Gestalt is, daß eine Gestalt is, und diese Gestalt, daß wieder keine Gestalt is. Aber es hat Sie bald übermannt, und Sie ham bald angefangen zu schnarchen, wie wenn eine Säge sägt.«
Schwejk verstummte, ging bis zur
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