Die Abenteuer des braven Soldaten Schwejk
hinter das vergitterte Fenster der Zelle geschaut, in der Schwejk eingesperrt war, dann hätte er gesehen, wie unter Schwejks russischem Soldatenmantel zwei Personen auf einem Kavallett schliefen und unter dem Mantel zwei Paar Stiefel hervorguckten.
Die mit den Sporen gehörten dem Major, die ohne Sporen Schwejk.
Die beiden lagen aneinandergeschmiegt wie zwei Kätzchen. Schwejk hatte die Pratze unter den Kopf des Majors geschoben, und der Major hielt Schwejks Leib umfangen, während er sich an ihn drückte wie ein junger Hund an die Hündin.
Daran war nichts Rätselhaftes. Es war nichts anderes als die Erfüllung der Obliegenheiten des Herrn Majors.
Auch euch ist gewiß schon folgendes widerfahren. Ihr sitzt mit jemandem beisammen und trinkt die ganze Nacht hindurch bis zum nächsten Vormittag, und plötzlich packt sich euer Zechgenosse am Kopf, springt auf und schreit: »Jesusmaria, ich hab um acht Uhr im Amt sein solln!« Das ist ein sogenannter Anfall von Pflichtbewußtsein, der sich gewissermaßen als Nebenprodukt von Gewissensbissen einstellt. Einen Menschen, den dieser Anfall erfaßt, bringt nichts von der heiligen Überzeugung ab, daß er augenblicklich im Amt ersetzen muß, was er versäumt hat. Das sind jene Gestalten ohne Hut, die der Portier in den Ämtern auf dem Gang abfängt und in seiner Klappe aufs Kanapee legt, damit sich der Betreffende ausschläft.
Einen ähnlichen Anfall bekam der Major.
Als er im Lehnstuhl erwachte, fiel ihm plötzlich ein, daß er Schwejk augenblicklich verhören müsse. Dieser Anfall amtlicher Pflichten kam so plötzlich und rasch und wurde so eilig und entschlossen ausgeführt, daß überhaupt niemand das Verschwinden des Majors bemerkte.
Um so fühlbarer machte sich die Anwesenheit des Majors in der Wachstube des Militärarrestes. Er platzte hinein wie eine Bombe.
Der diensthabende Feldwebel schlief am Tisch, und ringsumher |746| schlummerte die übrige Mannschaft in den verschiedensten Stellungen.
Der Major mit der schiefgerückten Mütze fluchte so kräftig, daß alle mitten im Gähnen innehielten; ihre Gesichter wurden zu Fratzen, und den Major blickte nicht ein Haufen Soldaten verzweifelt und affektiert an, sondern ein Haufen grimassenschneidender Affen. Der Major schlug mit der Faust auf den Tisch und brüllte den Feldwebel an: »Sie indolenter Kerl, ich hab Ihnen schon tausendmal gesagt, daß Ihre Leute eine beschissene Saubande sind.« Während er sich an die erschrockene Mannschaft wandte, schrie er: »Soldaten! Euch schaut sogar, wenn ihr schlaft, die Blödheit aus den Augen, und wenn ihr aufwacht, ihr Kerle, so benehmt ihr euch, wie wenn jeder von euch einen Waggon Dynamit aufgefressen hätt.«
Hierauf folgte eine lange und ausgiebige Predigt über die Pflichten der Wachmannschaft und die Aufforderung, ihm sofort den Arrest zu öffnen, in dem sich Schwejk befinde, er wolle den Delinquenten einem neuen Verhör unterwerfen.
So kam also der Major in der Nacht zu Schwejk.
Er kam zu ihm in einem Stadium, in dem – wie man zu sagen pflegt – alles zum Reifen gekommen war. Sein letzter Ausbruch bestand in der Anordnung, ihm die Arrestschlüssel zu übergeben.
Der Feldwebel lehnte dies, gleichsam in einer letzten verzweifelten Erinnerung an seine Obliegenheiten, ab, was auf den Major plötzlich einen großartigen Eindruck machte.
»Ihr beschissene Saubande«, schrie er auf dem Hof, »wenn ihr mir so die Schlüssel in die Hand gegeben hättet, ich hätt euch gezeigt!«
»Melde gehorsamst«, antwortete der Feldwebel, »daß ich gezwungen bin, Sie einzusperren und Ihrer Sicherheit wegen zum Arrestanten eine Wache zu stellen. Bis Sie herauszugehen wünschen, klopfen Sie bitte an die Tür, Herr Major.«
»Du Dummkopf«, sagte der Major, »du Pavian, du Kamel, denkst du denn, daß ich mich vor dem Arrestanten fürchte, daß du mir eine Wache zu ihm stelln willst, wenn ich ihn verhören |747| werde? Kruzihimmeldonnerwetter, sperrt mich ein, und schaut schon, daß ihr draußen seid!«
In der Öffnung über der Tür strömte eine vergitterte Petroleumlampe mit herabgezogenem Docht ein mattes Licht aus, so schwach, daß der Major den erwachten Schwejk kaum finden konnte, der in militärischer Haltung bei seinem Kavallett stand und geduldig wartete, was sich aus diesem Besuch entwickeln werde.
Schwejk überkam der Einfall, daß es am besten sein werde, dem Herrn Major Rapport zu erstatten, deshalb rief er energisch: »Melde gehorsamst, Herr Major, ein eingesperrter
Weitere Kostenlose Bücher