Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition)
seine Kleidung. Sie sah abenteuerlich aus, ein Lumberjack aus grünem Schnürlsamt mit grünen Lederbünden an den Ärmeln und um die Hüfte, ein weißes amerikanisches T-Shirt, wie damals niemand eines hatte; das Wort T-Shirt hörte ich von ihm zum erstem Mal und ließ es mir erklären. Seine Füße steckten in derben hohen Schuhen. Er sagte, die besten seien die von der Tiroler Firma Hanwag. Wir setzten uns neben einen Baum und tauschten. Seine waren mir ein bisschen eng, meine ihm ein bisschen weit. Aber es ging. Jedenfalls, bis wir bei ihm zu Hause waren. Ich sagte, ich werde mir genau solche Schuhe besorgen und ob das der Grund sei, dass er sich nichts um die Wege schere. Er sagte, wenn ich ihm das Geld und meine genaue Schuhgröße gäbe, werde er sich darum kümmern, sein Pate und dessen Frau lebten in Innsbruck, über sie komme er günstig an die Ware heran, sein Pate sei ein bekannter Mann, dem überall Prozente abgezogen würden.
Das neue Heim der Lukassers war ein Bauernhaus mit einer Scheune, die groß genug war, um darin sechs VW-Käfer zu parken. Sebastian sagte, der Vermieter habe ihnen freie Hand gelassen, sie dürften am Haus und an der Scheune verändern, was ihnen passte.
»Wir haben uns vorgenommen, bis zum Ende der Sommerferien fertig zu werden.«
»Ich würde euch gern dabei helfen«, sagte ich.
Von nun an war ich jeden Tag in dem Haus in der Gemeindegutstraße Nummer 6 und half mit, die Scheune auszuräumen, die Küche zu weißeln, die Wände in den Zimmern zu tapezieren, die Böden abzuschleifen und die Türen und Fenster zu malen. Ich berichtete Mama und Papa, dass ich einen besseren Freund gefunden hätte, und sie waren zufrieden damit, mich nur frühmorgens, spätnachts und an den Wochenenden zu sehen.
Sein Vater, erklärte mir Sebastian, sei in Jazzkreisen ein berühmter Mann, ein weltberühmter Mann sogar. Herr Lukasser sprach nie über Musik. Mir gegenüber hat er sich von Anfang an verhalten, als gehörte ich dazu. Als wäre ich ihnen zugelaufen. Er war handwerklich sehr geschickt, und ich war es auch, mehr als Sebastian, und bei komplizierten Dingen bat er mich, ihm zu helfen. Er konnte einen halben Tag lang kein Wort sagen und auf einmal und ohne Stichwort eine Stunde durchreden; was mich aber nicht störte, denn ich hörte ihm gern zu. Besonders amüsant fand ich es, wenn er seine »Mutmaßungen und Gesichtspunkte« propagierte, zum Beispiel betreffend die Verleihung des Empire-Ordens an die Beatles oder die Johnson-Doktrin oder die Zusammensetzung von Maggi und Coca-Cola oder die angeblichen Plänen von Mao Tse-tung, den Weltmarkt mit linksdrehenden Schrauben und krank machenden Fahrradsätteln zu überschwemmen, oder die angeblichen Pläne der CIA, Fidel Castro mit vergifteten Schuheinlagen zu beseitigen, oder den Föhn in Vorarlberg im Vergleich zum Föhn in Wien oder den Wüstenwind, der vor wenigen Tagen feinen rötlichen Staub gebracht hatte, oder die Gnade Gottes in Form eines Lackanstrichs ohne Blasen und Nasen. Die disparatesten Verbindungen stellte er her, kurvte vom Obersten zum Niedrigsten, vom Weltall und dessen ewigen Bedingtheiten als Beweis für Pfusch am Bau zur ordinären Nagelbettentzündung als Metapher – Seitenblick zu Sebastian – für Schuld und Sühne und verstieg sich dabei in eine so komische Radikalität, dass ich mich am Boden hätte kugeln wollen. Er war kleiner noch als Sebastian und drahtig, hatte krauses Wuschelhaar, und wenn er sich besonders heftig echauffierte, rannten die Finger seiner linken Hand gegeneinander um die Wette. Frau Lukasser und Sebastian fanden ihn ebenfalls komisch, woraus ich schloss, dass es seine Absicht war, komisch zu wirken – was aus seinem Vortrag nicht so ohne weiteres zu erschließen war. Einmal brachte Frau Lukasser vier leere Bilderrahmen aus der Stadt mit, die sie von einer ihr wildfremden Frau geschenkt bekommen hatte; sie sagte, sie würde gern von mir, Sebastian, ihrem Mann und von sich selbst Fotos machen lassen und sie ins renovierte Stiegenhaus hängen. Da nahm Herr Lukasser einen Rahmen, hielt ihn sich vors Gesicht und stellte sich an die Wand. »Selbstporträt mit Bilderrahmen«, sagte er. Es hat eine Zeit gedauert, bis wir den Witz verstanden, und dann war ich mir nicht ganz sicher. Aber gelacht haben wir, dass wir noch am nächsten Tag Muskelkater im Bauch hatten. Ich konnte mir vorstellen, dass Herr Lukasser und mein Vater sich ausgezeichnet verstehen würden.
Es gab viel zu tun, und wir
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