Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition)

Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition)

Titel: Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Köhlmeier
Vom Netzwerk:
gestanden und hatten zum Fenster hinaus geraucht und in die Sterne geblickt, und ich hatte einen passenden Satz gefunden. Ich sagte: »Darf ich etwas sagen?« Er sagte: »Dime!« Und ich: »Wenn ich die Sterne sehe, denke ich, was wird einmal aus mir werden.« Und ich fand auch das richtige Gesicht dazu: Ich blickte ihm nicht in die Augen, sondern auf den Mund. Probieren Sie das einmal aus! Sie werden sehen, in Kombination mit einem passenden Satz wird diese Kleinigkeit garantiert als Melancholie gedeutet, und es gibt nichts, was einem einsamen Mann nähergeht als Melancholie. Major Hajós hat mir diesen Mechanismus erklärt und ihn im Schein seiner Taschenlampe vorgeführt; es sei ein Trick, den er gern bei Verhören angewendet habe, wenn ihm ausnahmsweise nicht die Rolle des Bösen, sondern des Guten zugefallen sei. In Quique Jiménez’ Augen stand das Wasser, und er drückte meine Hand. Ich presste meinen Daumennagel in seinen Daumen, und er den seinen in meinen. Das war von nun an unser Zeichen. Wenn uns niemand beobachtete, griff er schnell nach meiner Hand. Und ich griff nach seiner, wenn ich es wieder einmal für nötig hielt, seine innere Verbundenheit mit mir aufzufrischen. Der Halbmond eines Daumennagels, in die Haut gestanzt, war das Sigel unseres Paktes. Deshalb hatte er sich mit dem Adlatus geprügelt. – Nun, zusammen mit dem Adlatus unter dem Fenster, entzog ich meinem Gesicht jede Regung. Ich bin aus Aluminium, dachte ich, ich bin aus Aluminium. Als ich auf dem Klo gesessen war, hatte mir dieser Satz Trost gegeben.
    »Du weißt nicht, wer ich bin, Niculin Beeli«, sagte ich, nicht mehr flüsternd, aber heiser, so dass es klang, als flüstere ich. »Mit gondolsz miért nem mndtam el senkinek? Mert valami retteneteset követtem el. – Du weißt nicht, wer ich bin, und du weißt nicht, warum ich hier bin. Niemand von euch weiß es. Was denkst du, warum ich es niemandem erzählt habe? Weil ich etwas sehr Schreckliches getan habe. Wenn du wüsstest, was ich getan habe, dann würdest du mir mitten ins Gesicht kotzen, wie mir der Staatsanwalt mitten ins Gesicht gekotzt hat. Glaubst du, in diesem Haus hier ist einer, dem ein Staatsanwalt ins Gesicht gekotzt hat? Ganz gleich, ob du von nun an lieb zu mir bist, auch ganz gleich, wenn du zu mir böse bist und mir weiterhin über irgendjemanden deine Kassiber schickst, auch ganz gleich, ob du auf einmal zu mir bist, als wäre ich gar nicht da. Ich sage dir, du wirst bald viel dafür zahlen wollen, mir nie in deinem Leben begegnet zu sein. Wenn du mich loswerden willst, musst du mich umbringen. Tu’s gleich! Warte nicht. Du bist der einzige in unserer Zelle, der keinen Menschen getötet hat. Du kannst es nämlich nicht, Niculin Beeli. Man muss es können. Ich kann es. Mit mir ist der Gott. Ich mach, dass du in Gottes Namen verreckst. – Ès èn megteszem az Isten nevèben, hogy te megdöglesz.«
    Was der Staatsanwalt in seinem Plädoyer gesagt hatte, dass ich kein Mensch sei, das hat mich beschäftigt. Ich habe darüber nachgedacht, ob er vielleicht recht hatte. Ich sah auf jeden Fall wie ein Mensch aus, wie ein besonders gelungener sogar. Ich war ein schöner junger Mann. Ich war groß und anmutig gewachsen, war schlank und hatte Muskeln dort, wo sie passten. Ich hatte einen eleganten Gang und ebenmäßige feingliedrige Hände. Meine Zähne waren makellos, ich wendete viel Zeit auf, sie zu pflegen, was im Gefängnis nicht immer einfach ist (weswegen ich mich der Methode meines Vaters, sie mit Salz zu reinigen, entsann). Ich besaß eine angenehme Stimme, man hörte mir gern zu, auch wenn ich nichts Besonderes sagte. Und was die Intelligenz betraf, hatte ich bis dahin, mit Ausnahme von Sebastian, niemanden getroffen, zu dem im Vergleich ich nicht besser abgeschnitten hätte. Ich war weder hochmütig noch eitel, und wenn ich in dieser Art über mich nachdachte, tat ich es ohne Überheblichkeit. Meine Höflichkeit, meine Freundlichkeit, mein Charme waren oft genug gelobt worden. Ich zählte mir all das nur deshalb auf, weil der Staatsanwalt gesagt hatte, ich weise keine oder zu wenig Kennzeichen eines Menschen auf und dürfe somit nicht der Gemeinschaft der Menschen zugerechnet, und was er nicht aussprach, aber außer Zweifel meinte, auch nicht wie ein Mensch behandelt werden. Er urteilte auch, ich sei, was Menschlichkeit betreffe, nicht lernfähig. Er habe in seinem Leben Bestien getroffen, die schlimmere Dinge verbrochen hätten als ich, aus ihnen seien mit

Weitere Kostenlose Bücher