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Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition)

Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition)

Titel: Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Köhlmeier
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annoyance , marriage –, lustige – knickerbockers , permissible , squeamish – und solche, die mir Staff Sergeant Winship beigebracht hatte und die hier wiederzufinden mich glücklich machte – knife , fork , spoon … Ich freute mich – und freue mich noch immer – über jedes neue Wort, gleich aus welcher Sprache. Durch wie viele Köpfe war es gewandert, um mich zu finden! In einem halben Dutzend Sprachen kann ich heute kleine freundliche Unterhaltungen führen, dazu in einem halben Dutzend eine lange Nacht mit einem Freund oder einem Feind, einer Freundin oder einer Feindin Fundamentales disputieren. Alle Sprachen setzen Gold in Umlauf, heißt es. Sebastian sagt, alle schönen Worte schließen mehr als nur eine Bedeutung in sich. Also: Sprichst du eine Sprache, sprichst du gleich zwei!
    Nun hatte ich ungestört die Möglichkeit, mit Hilfe meiner Zellengenossen Spanisch, Französisch und Italienisch zu lernen, und ich brannte darauf, es zu tun. Bei unserem ersten Treffen teilte ich dem Direktor mit, dass dies mein innigster Wunsch sei. Ich wolle meine Zeit im Gefängnis nutzen, um zu lernen – Kfz-Mechaniker und vor allem Sprachen. Er klatschte in die Hände. Damit, sagte er, hätte ich den Beweis für die Richtigkeit seines Entschlusses erbracht, mir trotz meiner Jugend das »Große Image« zu übertragen. Sprachbücher für Italienisch und Französisch befanden sich in der Bibliothek, eines für Spanisch gab er in Bestellung, ebenso entsprechende Wörterbücher. Weiters nahm er meine Anregung auf, das ehemalige Sechserhaus als »Viererhaus« zu belassen. Und es war mir erlaubt, wöchentliche Umschlüsse mit Häftlingen aus der italienischen und französischen Schweiz sowie einem Totschläger aus Argentinien abzuhalten, damit ich die neuen Sprachen nicht nur aus dem Mund von Quique Jiménez, Juan Manuel Luengo Díaz und Luca Rotolo hörte. Ferner machte er mich darauf aufmerksam, dass seit einem halben Jahr ein sympathischer junger Türke wegen schweren Betrugs einsitze, der Interesse zeige, Deutsch zu lernen, was mir, falls ich mich nicht überfordert fühle, die Möglichkeit gebe, mein Taschengeld aufzubessern und gleichzeitig selbst ein wenig Türkisch zu lernen. Angeblich sei Türkisch eine einfache und schöne Sprache, in der zum Beispiel Taxi »Taksi« geschrieben werde, und das stimme doch optimistisch, oder? Er habe einst, seufzte der Direktor, die Ambition gehabt, in allen Sprachen seiner Insassen wenigstens die Formel einer Begrüßung sprechen zu können, die er dann am 1. August über Lautsprecher verlesen würde, ähnlich wie der Papst den Segen urbi et orbi am Ostersonntag …
    Noch etwas: Ich bekam den Spind, der sich abschließen ließ, und den Schlüssel und das Armkettchen dazu, die vor mir der Zellenvater getragen hatte.
    Von nun an trafen der Direktor und ich uns einmal im Monat. In seinem Büro. Nachmittags. Bei Kaffee, Kuchen und Whisky. Er habe, setzte er mir wieder und wieder auseinander, einen Beurteilungskatalog, bestehend aus zehn Kriterien, zusammengestellt – Verlässlichkeit, Intelligenz, Umgänglichkeit, Beliebtheit, Vertrauenswürdigkeit, Wissbegierigkeit, Fähigkeit zuzuhören, Entschlusskraft, Gemeinschaftssinn und Moralität. Von den fünf in Frage kommenden Kandidaten hätte ich die höchste Punkteanzahl erreicht. Er gebe zu, bei Antritt meiner Haftzeit sei er skeptisch gewesen, er habe ja auch den Artikel in der NZZ gelesen, in dessen Überschrift ich als »Herr Urian« bezeichnet wurde, worunter er sich nichts vorstellen habe können und erst nachschlagen musste, wobei herauskam, was er sich ohnehin gedacht hatte, nämlich der Teufel; so sei das eben bei den Zeitungen, schnell was geschrieben und womöglich auf ewig punziert – well, für die drei Wochen Bunker zu Beginn entschuldige er sich in aller Form, Schwamm drüber. Neuester Stand: Ich sei sein bester Insasse.
     
    Alles war gut. Was ist die Wahrheit, wenn sie in so vielen Sprachen so verschieden klingt? Auf sie pocht doch nur, wer fürchtet, ohne sie in der Welt nicht zurechtzukommen.
    Der Italiano strahlte wieder die Hoffnung aus, eines Tages in den Kreis der Reichen und Großen aufgenommen zu werden. Er zog einen Drogenhandel auf, diesmal systematisch. Woher er das Gift bezog, verbot ich ihm, mir zu verraten. Außerdem verbot ich ihm, mit Pervitin zu dealen, das habe zu nichts Gutem geführt. Wenn es wahr sei, dass Heroin eine Glücksdroge sei, urteilte ich, solle er sich darauf und auf ähnliche Substanzen

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