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Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition)

Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition)

Titel: Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Köhlmeier
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zurückzubiegen, gab seinen Sessel frei – und ich bot mich an, auf dem Boden zu sitzen.
    »Uhhhhh!«, rief der Dogmatiker als Beginn seiner Rede, hob die Arme und verdrehte die Augen, klatschte in die Hände und lachte uns aus. »Ich lache euch aus«, rief er. »Und wisst ihr warum?«
    »Sag es uns! Sag es uns!«
    »Weil ihr ein Haufen Thomasse seid. Weil ihr nichts glaubt, außer es ist logisch. Hab ich recht? Ich habe recht. Die Logik ist die große Möglichkeit für den Menschen, zum Glück zu gelangen, sagt Averroes, den wir getrost gelten lassen dürfen. Sie gibt dem Denken und der Wahrheit ein Gesetz.«
    Ich saß im Eck, mein Blick auf den Dogmatiker war von den Weißbierflaschen verstellt, die auf dem Tisch standen, so dass ich sein Gesicht durch das Glas hindurch in wandelnder Verzerrung und wandelnder Farbe wahrnahm.
    »Stellen wir uns zunächst auf die Seite des Atheisten«, hob er an. »Sie lachen, meine Herren? Warum lachen Sie? Wo bittschön steht geschrieben, dass es in einem Priesterseminar keine Atheisten gibt? Jetzt lachen Sie noch mehr, wie schön. Miteinander reden und lachen, sich gegenseitig Gefälligkeiten erweisen, zusammen schöne Bücher lesen, sich necken dabei, aber auch sich Achtung erweisen, mitunter auch streiten – das alles seien Zeichen der Liebe, sagt der heilige Augustinus. Nun, Anselm erzählt uns also von einem Atheisten, einem Narren, der Gott leugnet. Dieser Tor sagt: ›Gott ist das, worüber hinaus nichts Größeres gedacht werden kann. Das heißt, Gott existiert, aber er existiert nur im Verstand und nicht in der Wirklichkeit. Also existiert er nicht.‹ So behauptet unser Atheist.«
    In der Ecke, wo ich saß, verliefen die Heizungsrohre nach oben, in ihnen gurgelte das Wasser, als steige es aus einer Zisterne, und das Geräusch mischte sich mit der Stimme des Dogmatikers, so dass sie bald nicht mehr als die seine zu erkennen war.
    »Der Satan«, übernahm nun diese Stimme die Rede, und es war ohne jeden Zweifel die Stimme von Major György Hajós, »der Satan aber ist dasjenige, unter das nichts Niedrigeres gedacht werden kann.« Und trotz der Verzerrung durch die Weißbierflaschen konnte ich das Gesicht vom Adlatus Niculin Beeli identifizieren, das sich über das Gesicht des Dogmatikers schob. »Heißt das, dieses Niedrigste des Niedrigen existiert nicht in Wirklichkeit, sondern nur in unserem Verstand? O nein! Denn unsere Gedanken sind mächtig, und weil sie mächtig sind, sind wir in der Lage, etwas zu denken, das noch niedriger ist als das, was nur in unserem Verstand existiert. Wir können denken, dass dieses Niedrigste des Niedrigen, eben Satan, in der Wirklichkeit existiert. Wenn aber etwas gedacht werden kann, das niedriger ist als das, unter das nichts Niedrigeres gedacht werden kann, dann ist das, unter das nichts Niedrigeres gedacht werden kann, etwas, unter das eben doch etwas Niedrigeres gedacht werden kann. Daher: Dasjenige, unter das nichts Niedrigeres gedacht werden kann, ohne jeden Zweifel Satan, existiert in Wirklichkeit und nicht nur in unserer Phantasie. Das aber heißt …« – an dieser Stelle erhob ich mich und setzte mich auf die Tischkante und blickte nahe ins Gesicht des Dogmatikers, der nun wieder aus seinem eigenen Gesicht und mit seiner eigenen Stimme und nur noch zu mir sprach – »… das aber heißt, Gott ist , wie eins und eins zwei ist .«
    Er gab Zeichen, damit einer einen Sessel für ihn frei gebe, sank darauf nieder, wischte sich mit dem Handrücken die Stirn, so dass ihm der Schweiß über den Daumenballen und den Puls in den Ärmel floss, und fand unter Seufzern den Abschluss, wobei er sich wieder nur an mich wandte, als wäre ich der einzige Mensch in diesem Raum, der bei ihm genügend Wertschätzung genoss, um aus den logischen Schlüssen auch die theologische Folgerung zu hören: »Dazu braucht Anselm keine Natur, kein Universum, keine Vision, keine Offenbarung, keinen Kirchenvater, nicht einmal das Evangelium, sondern bloß ein bissel von der Logik. Diese steht nun wirklich jedem zur Verfügung, einem Bantu-Neger, der nie ein Buch gelesen, genauso wie einem Eskimo, der nie in seinem Leben einen Baum gesehen, oder einem Blinden, der nie in die Sterne geblickt hat. So einfach und gerecht macht’s uns Gott. Amen. Jetzt Sie, Spazierer!«
    Aber Ernst Koch ließ mich nicht zu Wort kommen. »Und wo kommt die Liebe vor?«, rief er und stellte sich vor den Dogmatiker, und seine Stimme zitterte. »Wo, Herr Magister, wo kommt in Ihrer

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