Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition)
Schultern trägt. Wärst du daran interessiert? Wir könnten Manipulationen vornehmen, in deren Folge die Menschen all ihre Hoffnungen in dich setzen. Wäre das nach deinem Geschmack? Wir könnten dir Worte in den Mund legen, die deine Zuhörer erschüttern und bezaubern in einem, so dass sie in sich blicken und den Kopf schütteln und einander zuraunen, so hätten sie die Sache noch nicht betrachtet. Ist das ein Angebot? – Ich möchte trotzdem nicht mit euch spielen, sagte ich. Da schrumpften sie seufzend zu Katz und Marder zusammen, die liefen hinter mir her, bis ich vor dem Erzbischöflichen Priesterseminar in der Boltzmanngasse ankam und den schweren eisernen Schlüssel ins Schloss steckte und mit so viel Kraft umdrehte, dass es im Gemäuer krachte bis hinauf unters Dach zu den schlafenden Tauben und hinunter in den Keller zu den schlafenden Mäusen. Das Rotkehlchen aber war schon wach und begrüßte mich.
Ich war zum Nachtmenschen geworden. Nie legte ich mich vor vier Uhr ins Bett. Ich erinnerte mich der nächtlichen Spaziergänge als Siebenjähriger, wenn ich meinen Hurendienst abgeleistet hatte und nicht nach Hause wollte, weil ich noch die Penisse vor mir sah, wenn ich die Augen schloss, und ich mich, ehe ich zu Bett ging, ein bisschen mit ihnen unterhalten wollte, die meine Freunde waren und im Grunde nichts zu schaffen hatten mit diesen Männern.
Ich lockte den Kater zu mir, hielt ihm die Faust hin, und er boxte mit dem Kopf dagegen. Ich hob ihn auf meinen Arm und nahm ihn mit zu mir in mein Zimmer. Ich öffnete das Fenster, damit er nach Belieben kommen und gehen konnte.
Der Kater und ich, wir wärmten einander über den Winter. Und ich lernte seine Sprache.
Im Frühling wechselte ich vom Spittelberg hinüber in den 2. Bezirk; der war zu jener Zeit ziemlich heruntergekommen, und in den Beisln hielten sich in der Nacht keine Studenten auf, sondern Huren, Zuhälter, Spieler, Säufer, Schläger und Angestellte oder Besitzer von Geisterbahn, Achterbahn, Hippodrom, Autodrom, Schießbuden und Zuckerwatteständen vom Wurstelprater. Die Katze begleitete mich ein Stück, blieb stehen und miaute leise. Und sah mich an. Ich dachte, sie will mich warnen. Ich dachte, sie halte es für besser, wenn ich nicht weiterginge. Als begänne hier ein unheimliches Revier und eine Zukunft, die betreten zu haben mir irgendwann leid tue. Ich strich ihr über den Kopf und kraulte sie am Kinn und sagte, ich würde mich auskennen, sie brauche sich nicht zu sorgen. Sie erhob sich auf ihre Hinterbeine, breitete die Vorderbeine aus, als wolle sie mit mir tanzen, drehte sich einmal um ihre eigene Achse, so dass ihr rotes Halstuch wippte, drückte mir ein Auge und ging wieder nieder und verschwand. Der Marder löste sie ab, er lief nun vor mir her. Wenn ich stehen blieb, blieb er ebenfalls stehen. Er neigte den Kopf zur Seite, spähte nach mir und rieb sich die Stiefelchen. Drohte mir eine Gefahr, dachte ich, so würde mir seine Familie zu Hilfe kommen, aus der ganzen Welt würden sie anreisen, im Flugzeug, im Schiff, in der Eisenbahn, aus Ungarn und Kanada, wenn es sein musste. Von nun an begleitete er mich durch die Nacht. Mardersprache lernte ich auch.
Das Nachtcafé Vera in der Nähe vom Prater gefiel mir besonders gut. Es roch nach einer Mischung aus Bierdunst, Zigarettenrauch, angebranntem Pfeffer, Pissoir und Bohnerwachs. Zwei Billardtische standen hier und ein Flipperautomat und ein paar einarmige Banditen. Ich wurde zum Stoßspiel und zum Pokern eingeladen. Zum Schach bald nicht mehr, weil ich immer gewann. Quique Jiménez hatte gute Erziehungsarbeit geleistet. Ein kleines Taschengeld verdiente ich mir dennoch. Ich wurde nicht gefragt, wer ich bin, woher ich komme, was ich bei Tag treibe, womit ich mein Geld verdiene, wo ich wohne. Ich sagte, mein Name sei Joel, und sie nannten mich Joe.
Einer der Schachspieler, wegen seiner Frisur Mäcki genannt, gekleidet wie aus dem Büchschen, Anzug mit Weste, in süßem Rasierwasser dünstend, war anhänglich, wollte mein Freund sein; auch er fragte mich immer wieder, ob ich an etwas Not habe. Er hielt mich für traurig.
»Was meinst du, was mir fehlt?«, fragte ich ihn.
»Eine Handvoll Hilfe hat jeder nötig.«
»Drogen? Ich nehme keine Drogen.«
»Kein Wort weiter! Wer Hilfe nötig hat, weiß, dass er Hilfe nötig hat, und er weiß auch, welche Hilfe er nötig hat. Und vielleicht hast du ja schon jemanden, der dir hilft. A boy’s best friend is his mother.«
»Verrat’s
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