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Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition)

Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition)

Titel: Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Köhlmeier
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Ministerpräsidenten Menachem Begin in Oslo der Friedensnobelpreis übergeben. Die Invasion der vietnamesischen Streitkräfte beendete in Kambodscha das Regime der Roten Khmer. Der Europameister im Weltergewicht, der Österreicher Josef »Joe Tiger« Pachler, verlor seinen Titel durch technisches K.o. in der 10. Runde an den Briten Henry Rhiney. – Und endlich waren trotz sparsamen Einsatzes die Batterien in meinem Radio aufgebraucht.
     
    Ich blieb über Weihnachten und ein Stück ins neue Jahr 1979 hinein.
    Siebzig Tage war ich geblieben, wie ich mir später nachrechnete.
    Ich hatte an Silvester das Orchester oben im Tanzsaal spielen hören, hatte durch das enge Kellerfenster die Leuchtraketen in den Himmel steigen sehen, hatte den Donauwalzer im Radio gehört und die Pummerin, die große Glocke vom Wiener Stephansdom, hörte die Damen und Herren lachen und singen, hörte die Gläser klingen, wenn sie auf das neue Jahr anstießen.
    Dann hörte ich zwei Kinder über den schwarzen Mann reden, einen Bub und ein Mädchen, und der Bub behauptete, er habe ihn gesehen, nämlich hier im Hotel, nämlich im Keller. Das Mädchen weinte. Da wusch ich mich am Wasserhahn, rieb meine Haut ab, wusch meine Kleider und verließ früh am Morgen das große Haus.
     

10
     
    In Wien kaufte ich einen Aluminiumkoffer der Marke Rimowa , weiters drei Anzüge in dem feinsten Herrenbekleidungsgeschäft in der Kärntnerstraße, einen dunklen, einen grauen und einen hellen, dazu ein halbes Dutzend Hemden, Socken, Unterwäsche, Pullover, einen warmen Wintermantel und drei Paar Schuhe. Ich bezahlte mit Dollar. Das versöhnte den Verkäufer mit meinem Aussehen. Ich kaufte Shampoo und Seife, Zahnbürste und Zahnpasta, Salz, Fingernagelbürste, Fingernagelschere und Fingernagelfeile, Parfum, Deo und Rasierwasser und besuchte das Amalienbad in Favoriten. Eine Stunde lang stellte ich mich unter die Dusche und bürstete mich ab. Ich kleidete mich aus meinem neuen Koffer, wählte den grauen Anzug und die Wildlederstiefel. Meine alten Kleider warf ich in den Mülleimer, die Schuhe hinterher. Nun ging ich zum Friseur und ließ mir die Haare kurz schneiden und den Bart abrasieren. Während der Prozedur hielt ich die Augen geschlossen. Nachher erkannte ich mich nicht mehr. Oder: Ich erkannte mich wieder. Ich fuhr mit dem Taxi zum Hotel Imperial und nahm mir eine Suite. Darin hing ein mannshoher Spiegel, der war umrahmt mit Gold. Die Badewanne wurde gespeist von goldenen Hähnen, sie war gebaut für zwei Personen. Ein Fernseher war im Bad und ein Fernseher war im Schlafzimmer und einer im Livingroom. Das Essen wurde mir auf Wunsch aufs Zimmer serviert, in der Bar gab es Whisky und Cognac, Grappa und Calvados und einiges mehr. Im Kühlschrank lagerten Champagner und Lachs und Kaviar. Ich setzte mich aufs Bett und begann, mein Geld zu zählen. Aber ich hatte wieder keinen Nerv dafür.
    Am späten Nachmittag spazierte ich in die Stadt. In dem Papiergeschäft nahe dem Michaelerplatz besorgte ich einen großen Bogen durchsichtiges Millimeterpapier, eine Handvoll Bleistifte verschiedener Stärken, ein Farbband für eine Schreibmaschine, schwarze Tusche und ein Päckchen Büroklammern, außerdem Klebstoff und eine Lupe. In einem anderen Geschäft fand ich eine Taschenlampe. Ich aß im Restaurant des Imperial einen Tafelspitz mit Apfelkren, Rösti und Spinat, trank dazu einen leichten Weißwein und zum Abschluss einen Vogelbeerschnaps. Schon um neun legte ich mich ins Bett und schlief.
    Am nächsten Morgen fuhr ich mit dem Taxi in die Boltzmanngasse. Ich wartete vor dem Studentenheim, bis einer heraustrat. Ich nickte ihm zu, lächelte, dankte und betrat das Gebäude. Die Studenten waren bereits in ihren Seminaren. In der Werkstatt bog ich mir einen Dietrich zurecht. Ich öffnete die Tür zum Zimmer von Ernst Koch, öffnete seinen Schreibtisch und nahm seinen Pass heraus. Dann verließ ich das Haus und blickte mich nicht mehr um.
    In einem der Geschäfte für medizinische Geräte in der Nähe des alten AKH kaufte ich ein Skalpell. Anschließend stöberte ich in einem Buchantiquariat bei der Freyung. Ich entschied mich für den Band Die Österreichisch-Ungarische Nordpol-Expedition in den Jahren 1872–1874 von Julius Payer, erschienen in Wien 1876 bei dem k.k. Hof- und Universitäts-Buchhändler Alfred Hölder. Das Buch war leinengebunden, smaragdgrün, goldbedruckt. Es kostete 250 Schilling. Ich fragte, ob sie eine Biographie des Kommunisten Ernst Thälmann

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