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Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition)

Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition)

Titel: Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Köhlmeier
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einen Arm und ein Bein gehoben habe, sei keine Gegenwehr bemerkbar gewesen. Das schlechte Gewissen habe sich erst nach Jahren gemeldet. Lange Zeit sei ihr die Sache gar nicht wie ein Mord vorgekommen. Eher wie aufräumen. Ein Mord aus Barmherzigkeit.
    »Und jetzt du«, schlug sie vor.
    Da lagen wir miteinander im Bett, und ich hatte ihr gerade gesagt, ich könne mich nicht erinnern, jemals mit so viel Lust mit einer Frau geschlafen zu haben, die so viel Lust gehabt hatte, mit mir zu schlafen.
    »Was meinst du?«, fragte ich.
    »Dein Mord«, sagte sie.
    »Wie kommst du auf die Idee, ich könnte jemanden ermordet haben?«
    »Ich habe es dir angesehen, wie du es mir angesehen hast«, antwortete sie und stand auf. Ich bewunderte die kleine Delle, die sich bildete, wenn sie beim Gehen die Hüftmuskeln anspannte. Sie wandte mir weiter ihren Rücken zu. »Du bist ein Mörder? Ich weiß, dass du es bist. Hast du den Menschen umgebracht, den du in Mexiko begraben hast? Für den Sorge zu tragen du bestimmt warst? Eine schöne Formulierung. Du siehst, ich habe sie mir gemerkt. Ist es so? Dann wären wir gleich. Es würde uns guttun, darüber zu sprechen.«
    Das war auf den Busch geklopft, mehr war es nicht.
    »Nein, das habe ich nicht«, sagte ich.
    »Wen hast du denn getötet?«
    »Willst du es wirklich hören?«, fragte ich.
    »Das will ich«, sagte sie.
    Ich erzählte ihr die Geschichte von dem Mann, der von einer Geschäftsreise früher nach Hause gekommen war, und während er mit seiner Frau sprach, ihren Liebhaber durch das Küchenfenster im Garten entdeckte und seine Pistole Marke Mauser holte und ihn erschoss, woraufhin die Frau meinte, es bleibe ihr nichts anderes übrig, als vor der Polizei die Version ihres Mannes, nämlich dass es sich um einen Einbrecher gehandelt habe, zu bestätigen – die Ehe habe nicht mehr lange gehalten.
    Marithér nahm mir die Geschichte natürlich nicht ab, sie war enttäuscht; aber die Geschichte war ja auch nicht erzählt worden, um geglaubt zu werden, sondern um ihr ein Schlupfloch zu lassen und vor mir andeuten zu dürfen, auch ihre Geschichte müsse nicht unbedingt wahr sein. – Was ging mich das Leben und Sterben eines alten Tyrannen an?
    Marithér redete gern über Sex. Und sie redete gern beim Sex. Ich kriegte schnell heraus, dass sie sich wünschte, schockiert zu werden. Erst meinte ich, sie wolle lediglich frivole Worte hören. Das wollte sie auch, ja. Aber die schockierten sie bald nicht mehr. Außerdem bin ich auf diesem Gebiet nicht sehr begabt. Die Wahrheit schockiert. Während sie auf mir saß, was ihre Lieblingsstellung war, erzählte ich ihr von ihrem Mann; dass er nicht nur eine Freundin habe, sondern auch homosexuelle Beziehungen unterhalte; dass er sich seit Jahren mit einem Liebhaber treffe, von dem er Nama-Nama genannt werde und den er Nasitangala nenne, wie ein Hase in einem nigerianischen Märchen heiße. Sie lachte über meine Originalität. Das zusammen mache den Sex mit mir für sie einmalig. »Es bläst mir das Hirn weg!«
    Hinterher lud sie mich zu McDonald’s ein. Ich bin nicht wählerisch. Ich habe nichts am Magen. Mein schlanker Körper wird durch Cheeseburger mit Cola und Pommes nicht in Mitleidenschaft gezogen. Beim Essen redeten wir über Belanglosigkeiten.
    »Was hast du denn mit deinem Finger gemacht?«, fragte sie.
    Sie berührte den Stumpf des kleinen Fingers meiner rechten Hand und betrachtete ihn.
    »Ach«, sagte ich, »das erzähle ich dir bei einer anderen Gelegenheit.«
     
    Warum begehen nur wenige Menschen einen Mord? Haben Sie sich diese Frage nie gestellt? Die meisten hätten Grund und Groll genug, jemanden zu beseitigen. Wenn man – wie ich – sechzig Jahre alt geworden ist, hat man so viel erlebt, dass sich der Mord mit Gewissheit irgendwann als die nächstliegende Lösung für ein Problem angeboten hat. Warum tun es nur wenige? Weil die Sache auffliegen könnte? Weil man ein schlechtes Gewissen haben würde? Wenn der Mörder tatsächlich ein schlechtes Gewissen hätte, ich meine eines, das ihn so sehr martert, wie es den Orestes oder den Rodion Raskolnikow gemartert hat, würde er sich dann nicht der Justiz stellen, damit eine weltliche Strafe die innere Not lindere? Orestes hat es getan, Raskolnikow hat es getan. Sind wir weniger gewalttätig als die Menschen vor uns? Die Leibeigenschaft und die Sklaverei sind abgeschafft, die Strafgerichtsbarkeit wurde humaner, Attentäter werden nicht mehr gevierteilt und verbrannt wie Robert

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