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Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition)

Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition)

Titel: Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Köhlmeier
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mit mir gesprochen, aber ich hatte ihr mit dem besten Willen nicht zuhören können.
    Das Rote Kreuz brachte mich ins Allgemeine Krankenhaus. Wir fuhren mit Horn und Blaulicht. Ich wurde sofort in einen OP geschoben. Ich tauschte meine Kleider gegen ein langes weißes Hemd, das hinten offen war. Währenddessen nahm eine Schwester meine Daten auf. Ich sagte, ich sei Privatpatient. Ich sagte, ich sei Gast des Schriftstellers Sebastian Lukasser.
    Ein Mann, an dessen Mantelrevers ein Schildchen mit »Dr. Patrick Williams« geheftet war, begrüßte mich lächelnd. Er sei Engländer, lebe aber schon seit vierundzwanzig Jahren in Wien, habe eine Wiener Frau und drei Wiener Kinder. Lächelnd begrüßte mich auch seine Assistentin, Schwester Ruth.
    Ich legte mich, ihren Anweisungen folgend, auf den Tisch.
    Dr. Williams erklärte mir, er werde sich nun mit einer Sonde meine Herzkranzgefäße ansehen. Die Sonde werde er in der Leiste am Oberschenkel einführen. Er vereiste die Stelle und spritzte ein lokales Betäubungsmittel. Er schnitt die Schlagader auf. Es hörte sich rauh und körnig an. Er werde nun ein Ventil in die Wunde setzen, kommentierte er weiter. Er schob den Führungsdraht in die Arterie und ging dabei sehr flott vor. Als die Spitze das Herz erreicht hatte, spritzte er ein Kontrastmittel, damit er über den Röntgenapparat den Vorgang beobachten konnte. Das bewirkte, dass mir warm in der Brust wurde. Das Gefühl sei unangenehm, sagte Dr. Williams. Es war nicht unangenehm.
    Schwester Ruth fragte mich, ob ich mir über Monitor den Eingriff ansehen wolle. Ich nickte. Sie drehte den Bildschirm über meinem Kopf und erklärte mir, was ich sah.
    Das Kontrastmittel musste immer wieder gespritzt werden, weil es sich schnell im Blutstrom auflöste. Das Netz der Blutgefäße schimmerte mattweiß auf und erlosch gleich wieder, bis der nächste Stoß folgte.
    Die kritische Stelle könne man deutlich erkennen, sagte Dr. Williams. Das Gefäß sei zu fünfundneunzig Prozent verengt. Er diktierte seiner Assistentin in den Laptop und gab mir Anweisungen. Ich solle die Luft anhalten, solle ausatmen, solle den Kopf zur rechten Seite legen, solle ihn zu linken Seite legen. Eine andere Stelle sei zu etwa dreißig Prozent verengt. Außerdem seien Wandunregelmäßigkeiten festzustellen. Er werde mir einen Stent setzen, sagte er. Warum nicht zwei, fragte ich, wenn zwei Stellen verengt seien. Die mit dreißig Prozent liege an einer unwesentlichen Stelle. Diese Stenose lasse man, wie sie ist. Der Plaque löse sich mit ein wenig Glück durch die Therapie auf.
    »Das Gefühl des Infarkts«, sagte er, »wissen Sie, das interessiert mich, die Patienten sprechen große Dinge darüber. Dass der Tod an den Knochen klopft, sagen sie. Einer hat das so formuliert. Ich nehme an, er hat das Sternum gemeint. Dass der Tod an das Sternum klopft, das Brustbein, also direkt über dem Herzen. Ein anderer hat gesagt, dass er selbst an die Himmelstür geklopft habe. Aber das ist, denke ich, nur wegen diesem Song von Bobby Dylan, was meinen Sie? Haben Sie an die Himmelstür geklopft, Mister« – er blickte auf meinen Aufnahmeschein – »Mister Spazierer? Haben Sie?«
    »Nein«, sagte ich.
    »Hat der Tod an Ihr Sternum geklopft?«
    »Die Frage ist doch«, sagte, bevor ich antworten konnte, Schwester Ruth mit einem einvernehmlichen Blick zu Dr. Williams, »ob der Tod überhaupt Knöchel hat, mit denen er klopfen könnte.«
    »Er besteht nur aus Knochen«, sagte Dr. Williams. »So haben wir es gelernt. Wir kennen die Bilder. Der Tod tritt immer als das reine Knochengerüst auf.« Und fragte mich: »Kennen Sie ein anderes Bild?«
    »Nein«, sagte ich.
    »Aber wie kann er sich bewegen?«, sagte Schwester Ruth. »Wenn er klopft, muss er sich bewegen. Also braucht er Muskeln und Sehnen.«
    »Und ein Gehirn«, ergänzte Dr. Williams, »das die Bewegung steuert.«
    »Und eine Haut«, sagte Schwester Ruth, »damit das Gehirn nicht austrocknet.«
    »Richtig«, rief Dr. Williams. »Völlig richtig! Das heißt, er sieht aus wie wir! Sicher wird er nicht nackt gehen. Er wird Hemd und Hose tragen, einen Sweater, der Jahreszeit entsprechend einen leichten Mantel, Wildlederstiefel. Also könnte jeder, der uns begegnet, der Tod sein. Sogar der Arzt, der Sie operiert, Mister Spazierer.«
    Er werde, erklärte mir Dr. Williams, nun über die Sonde einen Ballon einführen und ihn in die verengte Stelle schieben und die verengte Stelle aufdehnen, indem er den Ballon aufpumpe. Bei

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