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Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition)

Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition)

Titel: Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Köhlmeier
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Nach zwei Tagen zog Papa nach Illmitz zu einem Bauern, und Mama und ich fanden Unterkunft bei einer hübschen netten Friseuse in Mattersburg, die den Winter nicht leiden konnte und sich auf den Sommer freute, weil im Sommer in ihrem Garten Hortensien, Löwenmaul, Begonien und Rosen blühten. Sie hatte über einen Lesezirkel einen Stapel Illustrierte abonniert – und Micky Maus. An ein Heft erinnere ich mich: Auf dem Umschlag war Donald abgebildet, Schneebälle fliegen an seinem Kopf vorbei, er ist sichtlich schlecht gelaunt. Der Geldspeicher von Dagobert Duck beeindruckte mich. Ich stellte mir vor, in ähnlicher Weise würde Momas Geld in der Schweiz gelagert.
    Mama und ich halfen Frau Buchta in ihrem Laden. Ich habe zum Beispiel Haare zusammengekehrt. Frau Buchta erlaubte mir, mit den Haaren zu experimentieren. Ich legte mir hinter dem Haus ein Depot an. Zuerst wollte ich die Haare nach Farben sortieren. Aber sobald Haare am Boden liegen, sehen sie alle ähnlich aus, jedenfalls die kurz geschnittenen, außer sie sind hellblond oder schwarz – aber wer ist schon hellblond und wer schwarz? –, und wenn sie im Freien auf der Erde liegen, sieht ein Schopf aus wie der andere; und wenn man sie mit Erde und Sand und Asche vermischt, verlieren sie das Haarhafte. Frau Buchtas Freund, der einen 56er DKW Cabriolet, beige mit Stoffdach, besaß und auch über andere Dinge viel wusste, vor allem über den Sternenhimmel, sagte, Haare seien eine Art Dünger. Darum vermischte ich sie mit Erde und Sand und Asche und Schlamm, mit nassem Heu und zerbröseltem Schilf und Sägemehl. Ein anderer Dünger sei Blut, sagte er. Ich ging zum Fleischhauer, dem ich vom ersten Tag an sympathisch war, weil ich die Namen verschiedener Rinderteile kannte – Filet, Hochrippe und Beiried – und gleich bei meinem ersten Besuch mit ihm über ein Rezept für ein Butterschnitzel diskutiert hatte, und erklärte ihm, dass ich eine Spezialerde für Blumen zubereiten wolle, worauf er mir eine Bierflasche halb voll mit frischem Schweineblut gab und mir riet, zerstoßene Eierschalen dazuzugeben und das Sägemehl wegzulassen, stattdessen Torfmull unterzuheben, ruhig viel Torfmull und altes Laub und Pferdeäpfel, und dass ich den Haufen mehrmals am Tag umschaufeln und gegen die Kälte mit Schilf abdecken solle. Ein richtiger Haufen war es nicht. Eine richtige Schaufel benötigte ich dafür nicht; ein Nachbar von Frau Buchta schenkte mir eine Kinderschaufel aus Blech, die genügte. Am Morgen nach dem Frühstück ging ich mit einem Kübel und meiner Schaufel los und sammelte die Pferdescheiße von den Wegen auf. Die Hälfte verwendete ich für mein Experiment, die andere streute ich über Frau Buchtas Rosenbeete. Das war fair, immerhin wohnten wir umsonst bei ihr, auch zum Essen steuerten wir nichts bei. Ihr Freund sagte, bis zum Sommer sei meine Erde womöglich schon durch, wenn ich weiter so fundiert daran arbeite; aber bald verlor ich das Interesse.
    Mama ließ sich zeigen, wie man Haare schneidet. Sie stellte sich geschickt an, und einer der Männer, ein Korbbinder, der drei Angestellte befehligte, ließ sie an seinen Kopf und war hinterher zufrieden und sagte, er werde sie seinen Angestellten weiterempfehlen. Ich wurde im Haarewaschen unterrichtet. Ich bekam einen Schemel, auf den stellte ich mich, die Kundinnen legten ihren Kopf nach hinten in eine entsprechend geformte Schüssel, ich goss aus einer Kanne lauwarmes Wasser über die Haare, rieb sie mit Spezialseife ein und massierte sie schaumig. Die Attraktion aber war, wenn Mama und ich zweistimmig sangen, wir bewegten uns im Rhythmus des Liedes, ich massierte im Rhythmus, sie schnippelte. Am besten kam True Love an; sie war Bing Crosby, ich Grace Kelly. Diesen und zwei andere Songs aus Herrn Dr. Martins Küchenradio übten wir am Abend in unserem Zimmer und studierten dazu unsere Choreographie. Das Trinkgeld wollte mir Mama allein überlassen. Ich sagte, ich bestehe darauf, dass wir fifty-fifty teilen. Einige Kundinnen wollten, dass ich mir von ihnen die Haare waschen lasse; sie sagten, nie hätten sie ein so vollkommenes Kastanienbraun in so vollkommenen Wellen gesehen, was man damit anfangen könnte, mein Gott. Frau Buchta sagte, wenn ich nicht wolle, müsse ich nicht. Ich wollte nicht. Die Frauen waren deswegen aber nicht gekränkt. Ob sie wenigstens mit ihren Fingern durch meine Haare fahren dürften. Das ließ ich zu. Eine Frau wollte, dass ich mich neben sie stellte und dass wir uns im

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