Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition)
Freud am gleichen Thema arbeitete, über die Beschäftigung mit dem »Ketzerpharao« Amenhotep IV aus dem 14. Jahrhundert vor Christi, besser bekannt als Echnaton, auf die Frage nach dem Ursprung der monotheistischen Religion und einer sich daraus entwickelnden allgemein menschlichen Moral gestoßen. Dieser Herrscher hatte alle Götter abgeschafft, ihre Kultstätten schleifen lassen, die Priester entmachtet, den Glauben an ein Leben nach dem Tod verboten und nur einen Gott gelten lassen – Aton, der keine Erscheinung kennt, also unsichtbar ist und durch die Sonnenscheibe lediglich symbolisiert wird. Nach seinem Tod wurde sein Name aus den Annalen des Reiches gelöscht, und Ägypten kehrte zu seiner alten Religion zurück. Erst im 19. Jahrhundert wurde er wiederentdeckt. Habich hatte viele Jahre zu diesem Thema gesammelt. Als Freud seinen ersten Aufsatz über Echnatons folgenschwere Revolution veröffentlichte und weitere Ausführungen ankündigte, meinte er, damit sei seine These abgeschossen, die da lautete: Moses sei in Wahrheit ein Priester des Echnaton gewesen, der den Eingottglauben des Pharao an die im ägyptischen Exil lebenden Israeliten weitergegeben habe. Er hatte sich Weltruhm erhofft, nun hielt er weitere Ausführungen seinerseits nicht mehr für nötig; er würde als ein Epigone dastehen, als ein Zuspätgekommener. Er verfiel in Schwermut und wollte sich nicht weiter mit diesem Stoff beschäftigen. Aber eine vierundzwanzigjährige Studentin überzeugte ihn davon, dass Freud vielleicht vor ihm diesen sensationellen Gedanken zu Papier gebracht habe, dass aber bis heute keine ausführliche Lebensbeschreibung dieses Echnaton existiere und dass die Menschen um Himmels willen wissen wollen, wer dieser Mann gewesen sei, der unsere Moral erfunden hat – und auch wer seine Frau gewesen sei, Nofretete, die ihn zu dieser Großtat ermutigt habe.
Professor Habich verliebte sich in die Studentin und berief sie zu seiner Assistentin – und nahm seine Arbeit wieder auf. Und war glücklich.
Heraus kam etwas anderes, als sich seine Muse gewünscht hatte. Nicht eine Biographie über Echnaton und Nofretete und deren gemeinsamem Sohn Tutanchamun war es – das war es auch, aber zugewuchert von einem Gestrüpp aus Zitaten und Querverweisen, Wiedergaben von verschiedenen Theorien und deren Widerlegungen, von Quellendiskussionen und Kulturvergleichen, von Vorgeschichten und Rezeptionsgeschichten, von detaillierten Ausgrabungslisten und verschiedenen Interpretationen durch Wissenschaftler aus aller Welt – kurz, ein ungenießbares Konvolut, das seine Kollegen mit Sicherheit loben, aber mit Sicherheit nicht lesen würden, nicht einmal die Kollegen.
Die Studentin sagte: »Ich würde es anders machen.«
Der Professor fragte: »Wie denn?«
Und dann machte sie es anders.
Das Ergebnis fand Professor Habich zunächst »sehr hübsch«, seinen Namen wollte er unter dieses Werk natürlich nicht setzen. Er schenkte es Moma als eine Art Morgengabe. Der Mann war vierzig Jahre älter als sie und bis zur Trottelhaftigkeit verliebt. Er glaubte weder daran, dass sie sich um eine Veröffentlichung bemühen, noch dass das Buch je einen Verlag finden würde. Er nahm es als ihre Dissertation an, gab ihr die beste Note und schrieb einen Begleitbrief, falls sie sich an irgendeinem Institut auf Gottes weiter Welt um eine Stelle bewerben wolle. Nachdem ihm Moma den Laufpass gegeben und das Buch doch einen Verlag gefunden und bei seinem Erscheinen viel Beachtung erfahren hatte, viel mehr als jemals eines seiner Bücher, ging er gerichtlich gegen sie vor. Momas Buch wurde von einem Experten mit Habichs Manuskript verglichen, und der Professor bekam nicht recht. Seine Arbeit wurde als »Vorarbeit« bezeichnet; die Tatsache, dass er das Nachwort (das war der Begleitbrief) verfasst hatte, wurde als »Einverständnis« gewertet. Mit seiner Klage, hieß es, versuche er, »an der ehemaligen Geliebten Rache zu üben«. Als Vierteljude tat sich Professor Habich schwer, seinen Argumenten das nötige Gewicht zu verleihen. Er verließ Ungarn 1942 und zog in die USA.
(Sebastian hat ein Exemplar des Typoskripts von Habichs Arbeit in der Nationalbibliothek ausheben lassen und Momas Buch parallel dazu gelesen. Frau Dr. Fülöp-Ortmann, meinte er, habe nicht einen einzigen eigenen Gedanken eingebracht; ihre Arbeit bestehe in der Kürzung ganzer Kapitel ebenso wie einzelner Sätze; sie habe Habichs Formulierungen übernommen und nur an wenigen Stellen
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