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Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition)

Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition)

Titel: Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Köhlmeier
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Lügnerin gewesen. Das Gegenstück zu Moma, der ich wiederum alles geglaubt hatte. Ausgerechnet ihr! Weil sie mich fester an ihre Brust drückte und ihr Busen üppiger und wärmer war als der von Mama; weil Moma lauter lachen und lauter fluchen konnte und weil sie Zigaretten rauchte. Dass die kleinen Geschichten von dem »überaus Merkwürdigen« kleine Geschenke für mich hätten sein sollen, darauf war ich nicht gekommen.
    »Bis ans Ende, nehme ich an. Unser wirklicher Name ist hier nicht zu halten und unser wirklicher Stand auch nicht.«
    Beim Frühstück entschuldigte sie sich bei mir: für meinen Namen, für ihren Namen, für den Namen meines Vaters, für ihren Doktortitel, für seinen Doktortitel und für alle anderen Annehmlichkeiten, die Flüchtlingen vor dem weltbekannten Aufstand nicht gewährt worden waren und die wir uns durch Lügen erschlichen hatten.
    Mama und ich haben oft über Papa gesprochen, vor dem Einschlafen. Dass sie ihn vermisse, sagte sie, und dass er ein gutes Herz habe und einen scharfen Verstand, und ich vermisste ihn auch. Er war einer, den man nicht viel merkte, wenn er anwesend war, der einem aber sehr fehlte, wenn er nicht anwesend war. Einmal haben wir ihn in Illmitz besucht; Frau Buchtas Freund hat uns in seinem DKW chauffiert. Papa sah kräftig und glücklich aus. Er arbeitete mit Tieren und war hochgeschätzt. Bei dieser Gelegenheit durften Mama und Papa eine Runde mit dem DKW fahren. Sie stellten sich beide sehr geschickt an. Ich hätte auch dürfen, aber ich wollte nicht, weil es nicht ernst gewesen wäre. Mit Papa spielte ich einige Partien Schach. Über Opa haben Mama und ich auch manchmal gesprochen. Über Moma nicht ein Wort.
     
    Im Burgenland blieben wir von Ende November bis knapp vor Weihnachten. Die Feiertage verbrachten das Ehepaar Dr. Michael und Dr. Elise-Marie Philip mit Sohn Andres in Wien – nämlich in Momas und Opas neuer Wohnung in Döbling, einem der teuersten und vornehmsten Bezirke der Stadt. Meinen achten Geburtstag am 11. Jänner 1957 feierten wir bereits in unserer neuen Wohnung in Meidling; welches ein armer Bezirk ist, dort aber in der Nähe vom Hetzendorfer Friedhof, in der Elisabethallee, die ins hochnäsige Hietzing hinüberführte und dementsprechend mit durchaus prächtigen Villen ausgestattet war. In einer von denen hatte Moma für uns eine Dreizimmerwohnung gemietet – »für vorläufig«, wie sie sagte, womit sie meinte: bis wir das Geld geteilt haben und ihr endlich tun könnt, was ihr wollt. Die Aufteilung des Geldes und der Wertpapiere, und was sonst noch alles im Schweizer Exil über fast vierzig Jahre gereift war, zog sich bis in den Sommer hin. Woran es lag, weiß ich nicht. Nach dem Tod von Opa ging alles sehr schnell. Wir sind aber nicht aus der Elisabethallee ausgezogen. Die Wohnung war nicht schlecht, und an das weniger Gute haben wir uns gewöhnt.
    Die Nachmittage auf dem Hetzendorfer Friedhof mochte ich besonders gern, wo ich Namen von den Gräbern in mein Notizbuch abschrieb und mir auf diese Weise eine brauchbare Sammlung zulegte.
     

8
     
    Ich will an dieser Stelle – als ein Intermezzo – eine Geschichte einfügen, die ich eigentlich nicht verraten dürfte, denn ich habe versprochen, sie bis »in die Unendlichkeit« für mich zu behalten. Unendlichkeit ist allerdings ein Begriff, der außerhalb der Mathematik keine vernünftige Entsprechung aufweisen kann, also nichts weiter darstellt als eine Redensart. Deshalb deute ich leichten Herzens mein Versprechen dahingehend um, dass ich schweigen wollte, bis die in die Geschichte involvierten Personen nicht mehr leben – das tun sie schon lange nicht mehr.
     
    Als Moma ihr berühmtes Buch über den Pharao Echnaton schrieb, war sie achtundzwanzig, ein Wunderkind der Wissenschaft. Ein Exemplar in ungarischer Sprache liegt vor mir, es umfasst 234 Seiten, ist reich bebildert und kommt mit wenigen Fußnoten aus. Das Nachwort hat Levente Habich verfasst, Momas Doktorvater – und damaliger Liebhaber. Ihm ist das Buch auch gewidmet.
    Moma hat es nicht geschrieben. Sie hat Assistenzarbeit geleistet. Die war aber erheblich. Habichs Original erstreckte sich über 700 ziemlich mühsame Seiten, dazu kam ein editorischer Apparat von 150 Seiten. Moma hat das Manuskript auf das Wesentliche zusammengestrichen und ins allgemein Verständliche umformuliert. In Habichs Fassung hätte das Buch die Universität wahrscheinlich nie verlassen.
    Levente Habich war, ohne zu wissen, dass auch Sigmund

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