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Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition)

Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition)

Titel: Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Köhlmeier
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Übergänge hinzugefügt, damit die Schnitte nicht allzu abrupt ausfielen. Sein Urteil: eine sehr gute Lektorin.)
    Momas Buch wurde ein riesiger Erfolg. Bis heute erschien es allein in Ungarn in über zwanzig Auflagen, und es wurde in fünfzehn Sprachen übersetzt. Moma rückte nach dem Abgang von Habich auf dessen Lehrstuhl nach; sie hielt Vorlesungen und leitete Seminare, wurde zu Kongressen eingeladen und sprach immer über das gleiche Thema, über das sogenannte Neue Reich, die 18., 19. und 20. Dynastie, und schon nach kurzer Zeit hatten auch die Spezialisten vergessen, dass dies das Spezialgebiet eines gewissen Professors namens Habich gewesen war – nach kurzer Zeit war Professor Habich vergessen.
    Durch Habichs Klage war ihr Verhältnis publik geworden. Opa hatte zwar davon gewusst, war aber bereit gewesen, es zu tolerieren, solange sein Ruf nicht darunter leide. Nun, meinte er, leide er darunter. Die beiden trennten sich. Opa zog zu einer Kollegin von der Semmelweisklinik, mit der er schon seit längerem eine Beziehung unterhielt; Moma blieb mit Mama in der Báthory utca zurück. Mama war damals elf Jahre alt, und Ungarn befand sich im Krieg an der Seite des Deutschen Reiches.
    Fast sieben Jahre lang lebten Moma und Opa getrennt. Der Grund, warum sie wieder zusammengingen, war ich. Moma war der Meinung, meine Mutter sei mit ihren achtzehn Jahren zu jung, um ein Kind aufzuziehen, und sie selbst mit sechsunddreißig nicht zu alt, um eine Ersatzmutter zu sein. Und Opa hatte wohl auch nichts dagegen, den Großvatervater zu spielen. Die Beziehung zu seiner Kollegin führte er eine Weile fort, bis sie schließlich nicht mehr fortzuführen war.
     
    Auf die Geschichte von Momas Buch hat mich Herr Dr. Martin aufmerksam gemacht. Ich weiß nicht, wie er sie rausgekriegt hat. Dass Moma sie ihm gebeichtet hat? Selbstpreisgabe als eine Form von Erpressung – »Ich habe mich ganz vor dir entblößt, das verpflichtet dich, bei mir zu bleiben!« –, dass dies ihre Absicht war? (Sebastian hält es für wahrscheinlich. Er hat viel übrig für psychischen Masochismus. Ich erinnere mich an einen Spaziergang, ich war fast sechzehn, er fünfzehn, als er mir mit solcher Inbrunst von Dostojewskis Erniedrigte und Beleidigte erzählte, dass ich ihn entgeistert fragte, ob er sich eine Leidenschaft ganz ohne Schmerz überhaupt vorstellen könne. Seine Antwort: »Nein.« Ob eine Leidenschaft ohne Schmerz wenigstens wünschenswert sei? Seine Antwort: »Nein.«)
    Ich begriff, dass Herr Dr. Martin mit dieser Geschichte eine Waffe gegen Moma in der Hand hatte.
     

9
     
    Als wir aus dem Burgenland nach Wien zurückkehrten, fanden wir Moma in einem jämmerlichen Zustand vor. Sie hatte abgenommen, rauchte noch mehr und konnte keine Ruhe geben und keine Ruhe finden. Opa lag nur im Bett, er sagte, sie sei verrückt geworden, die arme Frau. Manchmal streune sie in der Nacht durch die Stadt, und sie vernachlässige sich. Wenn sie etwas esse, müsse sie sich gleich übergeben. Der Grund: Herr Dr. Martin hatte sich wieder mit der Frau zusammengetan, an die er immer hatte denken müssen. Seine sieben Nein waren sieben Lügen gewesen. Er hatte sich nicht wieder mit ihr zusammengetan; er war die ganze Zeit über mit ihr gewesen; nicht mit ihr zusammen gewesen war er, das nicht, aber »mit ihr gewesen«. So drückte sich Moma aus. Er habe diese Frau in seinem Herzen und in seinem Kopf gehätschelt. Die ganze Zeit. Sie schluchzte, sie fluchte, und sie verteidigte Herrn Dr. Martin gegen Mamas Analysen und Papas Vorbehalte, und wenn ihn Opa gegen meine Eltern in Schutz nahm, sagte sie: »Du bist der einzige, der mich versteht, Ernö.« Moma war bloß eine Affäre gewesen, mehr nicht. Heute frage ich: Was hatte sie sich eigentlich erwartet? Ich glaube dies: Dass Herr Dr. Martin zu ihr und Opa zieht, dass sie zu dritt zusammenleben. Dass sie warten, bis Opa stirbt. Und dass auch Opa darauf wartete zu sterben. Ohne Bitterkeit. Dass er vielleicht sogar damit einverstanden war, wenn Herr Dr. Martin sein Nachfolger und Erbe würde. Aber Herr Dr. Martin hatte sich nur an Moma satt machen wollen. Er verlobte sich heimlich mit jener und besuchte weiter Moma. Und irgendwann hatte er es vor Moma zugegeben. Und er war dabei sehr brutal gewesen. Er hatte gesagt: »Du ekelst mich an.« Er hatte eine Woche nichts mehr von sich hören lassen. Aber nach dieser Woche war er wieder gekommen. Und Moma hatte ihn nicht weggeschickt, und er war geblieben. Bis er wieder zu

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