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Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition)

Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition)

Titel: Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Köhlmeier
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Aber Ungarn tun Ungarn etwas. Gibt es einen Ungarn, der den Buben kennt? Ja, es gibt einen Ungarn, der den Buben kennt. Was bin ich nur für ein dummes Arschloch!« Er schlug sich mit den Knöcheln auf den Kopf und gab sich Ohrfeigen und boxte gegen die eigene Brust und knurrte gegen sich selbst: »Bassza meg a kurva anyád!«
    »Wenn Sie den Hut auf dem Kopf behalten, sieht man den Streifen nicht«, sagte ich. »Oder ich könnte ein bisschen von der Tusche draufgeben. Das tu ich gern. Soll ich?«
    »Wo ist Ungarn?«, rief er aus, und es klang, als wollte er mir nun doch etwas vorsingen, aber nichts aus einer italienischen Oper. »Wo? Wo? Weißt du, wo Ungarn ist, Robi?«
    »Ja, das weiß ich.«
    »Hier ist Ungarn!«
    »Nein, hier ist Ungarn nicht.«
    In Wien waren wir, und draußen sangen die Amseln und zwitscherten die Spatzen, und wenn ich die Tür einen Spalt weit öffnete, drang die süßeste Sommerluft herein. Major Hajós verlor jedes Ansehen bei mir.
    »Ich weiß, wo man schöne Sachen zum Anziehen kaufen kann«, sagte ich. »Wenn Sie mir Geld geben, besorge ich alles. Was haben Sie für eine Kleidergröße? Hemden kaufe ich, einen Anzug für Sie, Schuhe und eine Krawatte und für mich auch etwas, wenn es Ihnen recht ist.«
    Er blieb in seinem Winkel hocken, aber er funkelte mich bereits wieder an. »Und wenn sie dich erwischen, virágocsk?«
    »Sage ich nichts.«
    »Nur wenige können nichts sagen. Idióta! Lo’fasz ein seggedbe! Und wenn du mich verrätst? Bunkó, menj vissza anyádba! Was ist dann?«
    »Das tu ich nicht.«
    »Könnte sein, könnte nicht sein, könnte sein, könnte nicht sein, es gibt in dem kleinen runden Loch in Wahrheit doch etwas Interessantes zu sehen!«
    »Ich will es aber nicht sehen. Es interessiert mich ganz bestimmt nicht, Major Hajós.«
    »Und wenn du einfach abhaust? Und das Geld für dich behältst, anstatt einen Anzug für mich zu besorgen? So! Ha! Jetzt?«
    »Das tu ich nicht. Ich verspreche es.«
    Ich hielt ihm meine Hand hin. Erst überlegte er lange, bevor er sie nahm, und dann wollte er sie nicht mehr loslassen.
    »Darf ich Sie auch etwas fragen?«, sagte ich.
    »Jaaa«, seufzte er, »ich bin doch kein Unmensch. Jaaa.« In einem einzigen Vokal schrumpfte er vom bösen Tyrannen wieder zum kümmerlichen Tropf. »Ja, mein Robi, ja, frag nur.«
    »Wohin fahren wir?«
    »Nach Oostende.«
    »Wo ist das? Was tun wir dort?«
    »Du tust gar nichts dort, Robi.«
    Ich sollte ihn lediglich auf der Fahrt begleiten. Sobald wir in Oostende angekommen seien, werde er mir eine Rückfahrkarte nach Wien geben. Und Geld werde er mir auch geben, sehr viel Geld. Er freue sich schon darauf zu sehen, wie sehr ich über das viele Geld erschrecke. Allein durch Deutschland zu fahren, traute er sich nicht. Er konnte nur vier Worte Deutsch, und Ungarisch wagte er nicht zu sprechen. Darum sei er taubstumm, darum sei ich sein Sohn Robi und er mein taubstummer Vater Helmut Rosenberger.
    »Und was tun Sie in Oostende?«
    »Ich steige auf ein Schiff und fahre nach Amerika.« Er schrie auf, stürzte wieder sein Gesicht in die Hände. »Amerika, Amerika, nimm mich auf! Immer habe ich von dir geträumt und immer in lobenden Worten von dir gesprochen und nicht nur heimlich! Nimm einen armen Mann wie mich auf! Please! I hope. I am a good man. I want to be a good man. Help me, please, America, help me!«
    »Hören Sie auf!«, rief ich. Er war sofort still.
    Einmal hatte er sich besonders heftig mit Moma gestritten, und zwar: weil Moma Schafskäse nicht mochte. Er hatte drei Kilo davon mitgebracht und ein Kilo Honig. – »Juhsajt!«, hatte er gerufen, als wäre unsere Wohnung ein Marktstand. »Vorzüglichster Juhsajt! Solchen kriegen Sie in ganz Budapest nicht! Und wenn Nikita Chruschtschow persönlich Ungarn besuchte, er bekäme nicht diese Qualität serviert! Sie müssen einen Löffel Honig darüberträufeln, Frau Fülöp-Ortmann! Juh-, -sajt, mez. Hören Sie, wie das klingt! Juh-, -sajt, mez. Hören Sie doch zu!« – Ob es das juh sei oder das sait , was sie störe, bohrte er weiter, oder das u oder das ai , und ließ auf keinen Fall gelten, dass Moma Schafskäse als Ganzes einfach nicht mochte. Die Gesundheit!, quälte er sie weiter, der Mensch sei zu selbiger verpflichtet, und es sei nachgewiesen, dass Schafskäse … Er versuchte, Opa hineinzuziehen – »Herr Doktor, Sie als Internist …« –, redete, schnaufte, keuchte, gab Meinungen über Lunge, Herz, Dickdarm, Venen und Nieren, Blut und andere

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