Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition)
glücklich.
5
Ich wanderte am Strand entlang, bis die Häuser weniger wurden, dafür größer und schöner, manche mit Türmchen und Geländerchen vor den Fenstern, alle mit ausladenden Veranden, auf denen Männer und Frauen saßen und aßen, Zigaretten und Zigarren rauchten und mit Gläsern anstießen. Kinder spielten im Sand, warfen einander den Ball zu. Ein Mädchen in einem weißen Kleid, mit einem Rossschwanz mit weißer Schleife fing den Ball auf, drehte sich zu mir, fragte mich etwas; ich verstand sie aber nicht und lächelte sie an und nickte. Sie faustete den Ball zu mir. Ich war ungeschickt, vermochte ihn nicht zu fangen und stieß ihn mit dem Fuß zu ihr zurück. Sie hob ihn auf, zögerte und warf ihn hinter sich, ohne sich umzudrehen. Sie war etwa in meinem Alter und redete mit mir, nun langsamer, gestikulierte dabei und formte die Worte überdeutlich mit dem Mund, wie man es bei Taubstummen oder Fremden tut. Ich hatte nie jemanden in dieser Sprache reden hören. Ich zuckte mit den Schultern und sagte auch etwas – dass ich mit meiner Schwester und meinem Bruder hier sei und dass wir unsere Eltern abholten, die morgen mit dem Schiff aus Amerika kämen –, ungarisch und deutsch. Sie trat nahe an mich heran, zeigte mit dem Finger auf ihre Brust und sagte »Claudine« und zeigte auf meinen Strohhut. Die anderen Kinder hinter ihrem Rücken kicherten und feixten. Ich lachte mit, deutete auf meine Brust und sagte »Michael« und reichte ihr meinen Hut. Sie setzte ihn vorsichtig auf, präsentierte sich ihren Freundinnen und Freunden und gab ihn mir mit ernstem Gesicht zurück. Eine Weile sah sie mich neugierig an, dann lief sie den anderen hinterher auf eine majestätische Villa zu, über deren Fenstern rot-weiße Sonnensegel gespannt und über deren weiter Veranda rot-weiße Sonnenschirme verteilt waren.
Ich sah nicht mehr hin, wusste auch so, dass die Kinder mir nachblickten und über mich sprachen; ich ging weiter am Strand entlang, die Schuhe an den Schnürsenkeln zusammengebunden und über eine Schulter gehängt, die Jacke unter dem Arm. Von der Veranda der Villa führte ein Steg über hohen Pfählen bis zum Wasser und ein Stück ins Wasser hinein zu einem überdachten weißen Rondell. Am Steg entlang verlief ein Rohr, das in Duschen und Wasserhähnen endete. Ich trank aus einem der Hähne. Das Wasser war warm. Ich ließ es so lange laufen, bis es kalt kam. Ich hielt den Kopf unter den Strahl, und als ich die Augen wieder öffnete, war die Sonne untergegangen. Ich ging weiter.
Bald war ich allein. Ich sah keinen Menschen und sah kein Haus, nur das Meer, den Strand und die Dünen. Am Horizont war ein dünner grünlicher Streifen zu sehen. Ich zog mich aus, legte meine Sachen sorgfältig über einen Büschel hohen harten Grases, damit sie mit dem Sand nicht in Berührung kamen; die Schuhe stellte ich nebeneinander. Nackt lief ich zum Meer und watete hinein, bis mir das Wasser an die Brust reichte. Ich schwamm, leckte nach dem Salzwasser, tauchte mit dem Kopf unter. Wenn ich mich auf den Rücken legte, sah ich die Sterne über mir. Ich war ein prima Schwimmer, in Budapest war ich im Sommer oft mit Papa an der Donau gewesen, im Winter im Császár-Komjádi-Bad, wo Papa jemanden kannte, der ein Auge zudrückte, denn eigentlich hatten Leute wie wir dort nichts verloren. In Wien war ich der beste Schwimmer in meiner Klasse, hatte das Fahrtenschwimmerabzeichen längst erworben, als meine Mitschüler sich erst um den Freischwimmer bemühten. Ein Lehrer hatte gesagt, er würde mich im nächsten Jahr gern für die Wasserballjugendmannschaft gewinnen. Ich schwamm zurück zum Strand, schlüpfte in meine Unterhose, die anderen Sachen wollte ich erst anziehen, wenn meine Haut trocken war. Meine Haare und mein Hals klebten vom Salzwasser, das war nicht angenehm. Ich ging den Weg zurück, den ich gekommen war. Bei dem Steg, der zur Villa mit den rot-weißen Schirmen führte, stellte ich mich unter die Dusche. In allen Fenstern brannte Licht, auf der Veranda war niemand. Wie viele Menschen wohnten in diesem Haus? Ich fror und zog mich an, auch meine Jacke und meine Schuhe. Hemd und Hose waren feucht, vom Wasser zog klamme Luft herauf, und zum ersten Mal – tatsächlich zum ersten Mal, seit Major Hajós sich umgedreht hatte und davongegangen war – kam mir der Gedanke, ich müsse ja irgendwo die Nacht verbringen. Vor der Veranda stand eine Reihe von Strandkörben. Sie waren zu kurz, um sich darin
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