Die Abenteuer des Sherlock Holmes Bd.1
für Sie tun, Mr. Holmes?«
»Ich komme wegen des Bettlers, Boone – das ist der, der unter Verdacht steht, mit dem Verschwinden von Mr. Neville St. Clair aus Lee zu tun zu haben.«
»Ja, der ist eingeliefert und zu weiteren Verhören hier behalten worden.«
»Das hörte ich. Er ist also hier?«
»Im Zellentrakt.«
»Ist er ruhig?«
»Oh, er macht kein Theater. Aber er ist ein schmutziger Penner.«
»Schmutzig?«
»Ja. Alles, was wir erreichen konnten, war, daß er sich die Hände wäscht. Sein Gesicht ist schwarz wie das eines Kesselflickers. Wenn sein Fall geregelt ist, bekommt er ein normales Gefangenenbad. Ich glaube, wenn Sie ihn sähen, würden Sie mit mir übereinstimmen, daß er es nötig braucht.«
»Ich würde ihn sehr gerne sehen.«
»Möchten Sie? Das ist einfach. Ihren Beutel können Sie hier lassen.«
»Nein, ich glaube, ich nehme ihn mit.«
»Gut. Bitte, hier entlang.« Er führte uns durch einen Gang, öffnete eine verriegelte Tür, stieg eine Wendeltreppe hinunter; so kamen wir in einen weißgetünchten Flur mit einer Reihe Türen auf jeder Seite.
»Die dritte rechts ist seine«, sagte der Inspektor. »Wir sind da.« Leise zog er den Schieber im oberen Teil der Tür zurück und guckte durch den Spion.
»Er schläft«, sagte er. »Sie können ihn sehr gut sehen.«
Wir blickten beide durch das Loch. Der Gefangene lag, mit dem Gesicht zu uns, in tiefem Schlaf, er atmete langsam und schwer. Er war mittelgroß, schlecht gekleidet, wie es sein Geschäft erforderte, mit einem bunten Hemd, das durch einen Riß in seinem zerlumpten Rock vorschaute. Er war, wie der Inspektor gesagt hatte, äußerst schmutzig, aber der Dreck auf seinem Gesicht konnte seine abstoßende Häßlichkeit nicht vertuschen. Vom Auge zum Kinn ging eine breite alte Narbe, die beim Zusammenwachsen ein Ende der Oberlippe nach außen gestülpt hatte, so daß drei Zähne ständig bloß lagen. Ein Büschel hellroten Haars wucherte tief über Stirn und Augen.
»Das ist eine Schönheit, nicht wahr?« rief der Inspektor.
»Der braucht ein Bad«, bemerkte Holmes. »So etwas habe ich mir schon gedacht und mir die Freiheit genommen, die Werkzeuge mitzubringen.« Er öffnete seinen Gladstone und zog zu meinem Erstaunen einen großen Badeschwamm hervor.
»Haha, Sie sind mir einer«, kicherte der Inspektor.
»Wenn Sie die Güte hätten, die Tür ganz leise aufzumachen, werden wir es bald dazu bringen, daß er eine respektable Erscheinung abgibt.«
»Ich wüßte nicht, weshalb ich es nicht tun sollte«, sagte der Inspektor. »Er macht den Zellen von Bow Street keine Ehre.« Er ließ den Schlüssel ins Schloß gleiten, und wir betraten ganz leise die Zelle. Der Schläfer drehte sich halb herum und verfiel wieder in tiefen Schlummer. Holmes beugte sich über die Wasserkanne, machte seinen Schwamm naß und rieb ihn dann zweimal kräftig dem Gefangenen über das Gesicht.
»Darf ich Ihnen«, rief er, »Mr. Neville St. Clair aus Lee vorstellen?«
Nie im Leben hatte sich mir ein solcher Anblick geboten. Des Mannes Gesicht schälte sich unter dem Schwamm wie die Rinde von einem Baum. Weg war der braune Dreck! Weg auch die schreckliche Narbe und das schiefe Maul, das dem Gesicht das abstoßende Grinsen gegeben hatte. Ein Ruck entfernte das wirre rote Haar, und in seinem Bett saß ein blasser, trauriger, gesäuberter Mann mit schwarzem Haar und glatter Haut, der sich die Augen rieb und schläfrig und verstört um sich blickte. Dann plötzlich, als er gewahr wurde, daß er entdeckt war, tat er einen Schrei, warf sich nieder und drückte das Gesicht ins Kissen.
»Lieber Himmel!« rief der Inspektor. »Das ist wirklich der Vermißte! Ich kenne ihn von der Fotografie.«
Der Gefangene setzte sich mit der Rücksichtslosigkeit eines Mannes zur Wehr, der sich mit seinem Schicksal abgefunden hat.
»Na und«, sagte er. »Wessen klagt man mich, bitte sehr, an?«
»Daß Sie Mr. Neville St…. Ach, dafür kann man Sie ja nicht anklagen, es sei denn – es sei denn, man macht einen Fall von versuchtem Selbstmord daraus«, sagte der Inspektor mit einem Grinsen. »Seit siebenundzwanzig Jahren bin ich bei der Polizei, aber das schlägt wirklich dem Faß den Boden aus.«
»Wenn ich Mr. Neville St. Clair bin, dann liegt zutage, daß kein Verbrechen begangen worden ist und ich ungesetzlich in Haft gehalten werde.«
»Es ist kein Verbrechen begangen
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